Vom Salzstreuer bis zur Saalbestuhlung - alles muss raus. Wo früher der Dorfstammtisch tagte und Hochzeiten gefeiert wurden, regierten jetzt die Schnäppchenjäger.

Norderstedt. "Kommt Leute, der Preis ist doch ein Witz! Neu kostet so was 1200. Hör ich die 70? Keiner 70? Wer gibt mir 70?" Auktionator Wolfgang Mutz schnurrt in Wühltisch-Rhetorik in das Mikrofon. Auf der Dia-Leinwand neben ihm auf der Bühne der "Wilstedter Mühle" leuchtet das überblitzte Abbild einer Schanksäule. Ein schlammbraun-beige farbiges Keramik-Ding mit "edelstahlverkleideter Quersäule, dreiteilig, mit drei Bierschankhähnen". Wie viele Hektoliter Bier aus diesen Hähnen in Bierseidel und von dort in Wilstedter Kehlen gelaufen sind, kann Mutz nicht sagen. Jetzt kommt auf jeden Fall nichts mehr raus, nicht mal mehr ein Tropfen. Die Wirtsleute Elke und Horst Ahrens gehen in den Ruhestand, die "Wilstedter Mühle" schließt, und heute kommt alles unter den Hammer, sogar das, was in der Gaststube, im Festsaal und in den Hotelzimmern niet- und nagelfest ist.

Alles muss weg. Salzstreuer, Tresenkühlmodule, Polstersofas, Hängelampen, Betten und die hölzerne Garderobenwand im Eingang, an der noch zwei Gehstöcke hängen und daran erinnern, dass hier vor nicht all zu langer Zeit die betagten Stammtischbrüder noch zusammenkamen. Der "Abendblatt"-Kalender hinter dem Tresen zeigt den 2. April an, seither steht in der "Mühle" die Zeit.

"Die 70 hab ich jetzt. Hör ich 75? Kommt Leute. Zum Ersten, zum Zweiten und. . ." Mutz hat die Schankanlage bald verhökert und steht kurz vor Position 60 von insgesamt 163, ein Treteimer aus der Küche. "Zwischendurch muss ich ja mal sagen: Die Sachen sind alle tipptopp in Ordnung, alles sehr sauber und gepflegt - das hab' ich selten. Und das ist hier keine Zwangsversteigerung, die Leutchen gehen ganz freiwillig in den Ruhestand", sagt Mutz, der "zwischen Flensburg und München" seit 20 Jahren Dinge zu Bargeld macht - in der Regel, weil die Inhaber letzteres ganz dringend brauchen. Mutz versucht mit seinem Einwurf, der Versteigerung etwas von ihrer Unwürdigkeit für den Anlass zu nehmen: Seit 1878 gehört der Familie Ahrens eine Gaststätte in Wilstedt, seit 1979 waren Horst Ahrens und seine Frau Elke hinter Tresen und Herd verantwortlich.

Die etwa 100 Interessenten im Saal, in der Masse Wirtsleute aus dem gesamten norddeutschen Raum, nehmen die Wertschätzung für den Traditions-Gasthof regungslos zur Kenntnis. Sie wollen Schnäppchen machen, und Tradition kann man nicht kaufen. Immer wieder stehen sie auf und verschwinden in den Eingeweiden der "Mühle", nesteln in der Küche an den Geräten, prüfen im Nebenzimmer die Tische oder testen das alte Roland E-Piano neben der Bühne auf Leichtgängigkeit.

Es sind aber auch einige Wilstedter gekommen, die dabei sein wollen, wenn sich "ihr" Traditionsgasthof auflöst und in Anhängern und Kofferräumen von Autos mit Kennzeichen RD, HH, HEI oder SAW verschwindet. Wirt Ahrens will den ganzen Hof abreißen lassen. Stehen lassen käme ihn zu teuer (siehe Kasten).

Mittlerweile hat sich Auktionator Mutz zur Position 86 gehämmert. 40 Gastronomiestühle, Gesamtpreis 1000 Euro, Sitzfläche gepolstert, hellgrüner Diolenbezug, recht ordentlicher Zustand. Natürlich ist der Zustand ordentlich. Schließlich sind die Tangstedter ordentliche Gäste, die auf diesen Diolenbezügen jahrelang ihre Familienfeste feierten oder bei den Auftritten der jetzt heimatlosen Plattdütschen Bühn' applaudierten. Hier wurde nicht auf den Stühlen getanzt. Vielleicht mal auf den Tischen. Bei den Hochzeiten etwa. Im Eingangsbereich des Restaurants hängt ein großer Bilderrahmen. Die Hochzeitsfotos von unzähligen Paaren hat jemand geschickt zu einer einzigen Collage des Glücks zusammengebastelt. Gemeinsam mit den alten Gehstöcken an der Garderobe zeugt die Collage von dem, was hier mal war und schon bald nicht mehr sein wird.