Beim Landesparteitag in Norderstedt konnte Spitzenkandidat Christian von Boetticher nicht alle überzeugen

Norderstedt. Peter Harry Carstensen beschwört die magische Kraft des Ortes: "Es war 2004, auch im Mai, als mich die Delegierten hier in der ,TriBühne' zum Spitzenkandidaten gewählt haben. Damals hat niemand einen Pfifferling auf mich gegeben, und dann haben wir die Landtagswahl gewonnen", sagt Schleswig-Holsteins Ministerpräsident, als er die CDU-Basis beschwört, seinem Kronprinzen Christian von Boetticher mit einem deutlichen Ergebnis zum Spitzenkandidaten zu wählen. Der Appell half, der 40 Jahre alte Landesvorsitzende und Fraktionschef aus Pinneberg bekommt 209 von 240 Stimmen. Doch bis das Ergebnis von 87,08 Prozent feststeht, wird es ein langer Abend in Norderstedt. Gut dreieinhalb Stunden muss der einzige und sichtlich angespannte Kandidat warten, bis er jubeln konnte.

242 von 250 Delegierten hatten sich an diesem sonnigen Freitag auf den Weg nach Norderstedt gemacht, 27 aus dem Kreis Segeberg. Dazu rund 100 Gäste.

Verteidigungsminister de Maizière erweist sich als fesselnder Redner

Ganz vorne vor dem Podium sitzen die Norderstedter, andere stehen am Eingang, haben sich das Schild Ordner an die Brust geheftet und arbeiten die Schlange der Parteikollegen ab. Ehrenamtlich natürlich, sagt Gisela Münster. "Ich freue mich schon auf die Rede von Thomas de Maizière, die will ich unbedingt hören", sagt Kollegin Dagmar von der Mühlen. Der Auflauf an Prominenz entschädige für den Aufwand.

Der Verteidigungsminister kommt ein paar Minuten zu spät, hat das Publikum mit einer geschickten Geste aber sofort auf seiner Seite. Er zieht eine stilisierte Papierblüte aus der Tasche seines grauen Jacketts, hält sie der Menge entgegen und sagt: "Ich komme aus Sachsen-Anhalt, da ist das mit den blühenden Landschaften so eine Sache. Aber hier gibt es wirklich blühende Landschaften." Schon vorher hatten die Norderstedter CDU-Landtagsabgeordnete Katja Rathje-Hoffmann, Gartenschau-Elfe Fleur und Oberbürgermeister Hans-Joachim Grote für die Landesgartenschau geworben.

Der Minister erweist sich als fesselnder Redner. Prägnant spricht er die aktuellen Themen an, schafft Spannung durch Pausen, beweist Sinn für Humor. Der Stargast wirbt für die Freiwilligenarmee, weist die Vorwürfe gegen die umstrittenen Äußerungen von Kanzlerin Angela Merkel zum Tod des Top-Terroristen bin Laden als "lächerlich" zurück und gibt ein Bekenntnis zum Segelschulschiff Gorch Fock ab: "Man sollte eine so schöne Tradition nicht leichtfertig über Bord werfen."

Ministerpräsident Carstensen zieht eine positive Bilanz seiner Arbeit

Das kommt an im Norden. Genauso wie die Werbung für von Boetticher: "Der Mann ist einfach eine gute Erscheinung, er hat ein gutes Auftreten, eine gute Stimme, und er ist ein guter Redner." Der Minister verlässt den voll besetzten Saal und kommt doch nicht weg. Bereitwillig erfüllt er die vielen Wünsche, lässt sich mit einer Delegierten aus Flensburg fotografieren, posiert mit einer Gruppe von Mitgliedern der Jungen Union vor der "Unterstützer-Wand" und gibt Interviews. "Jetzt weiß ich, warum de Maizière als Merkels Geheimwaffe gilt", sagt Uwe Matthes, Sprecher der Norderstedter CDU.

Kaum weniger Applaus bekommt Carstensen. Der Ministerpräsident zieht eine positive Bilanz der politischen Arbeit mit der FDP. "Christian von Boetticher ist der richtige Mann. Er ist entscheidungsstark, hat Gestaltungswillen und ist immer ein loyaler und ehrlicher Mitstreiter gewesen", preist der Ministerpräsident seinen Ziehsohn an. Nun heiße es: Ärmel aufkrempeln, "denn vor uns liegt ein langer und beschwerlicher Weg".

Und dann endlich, fast zweieinhalb Stunden nach Beginn des Parteitags, passiert, worauf alle warten: Der 40-jährige Hoffnungsträger tritt ans Mikrofon. Und galoppiert durch die Themenfelder, als stünde er an der Parkuhr. Weiter sparen schaffe Spielräume, Energiewende ja, aber mit Augenmaß, Priorität für die Bildungspolitik, auch klar. Die Stimme heiser, die Worte im Stakkato, schon nach zehn Minuten verrät das Getuschel im Saal, dass nicht alle der Bewerbungsrede folgen. Der 1,97-Meter-Mann macht unbeirrt weiter, demonstriert Wissen und verliert sich zugleich in der Fülle von Fakten. Nach gut 35 Minuten ist Schluss, die Delegierten stehen auf und klatschen.

"Ich fand die Rede gut, er hat viele Themen angesprochen", sagt Ruth Weidler, Delegierte der Norderstedter CDU. "Politik ist heute nicht mehr holzschnitzartig. Und das war die richtige Art, differenziert mit komplexen Sachverhalten umzugehen", sagt ihre Kollegin Angela Löw-Krückmann. Der Bramstedter Bundestagsabgeordnete Rolf Koschorrek lobt auch und erklärt: "Ich hätte diese Rede nicht halten wollen. Der Mann steht doch unter enormem Druck."

240 Delegierte füllen ihre Stimmzettel aus. Wenige Minuten später steht fest: 209 Ja-Stimmen, 26 haben mit Nein gestimmt, fünf sich enthalten. 87,08 Prozent bedeuten einen Dämpfer für die neue Nummer eins der CDU. 90 Prozent hatte er angepeilt. Da passte Kylie Minogues Song "Higher", der aus den Boxen in den Versammlungssaal dröhnte, perfekt. Nun sagt von Boetticher vor laufenden Kameras, dass er zufrieden sei und die trockene Luft im Saal seiner Stimme zugesetzt habe.

Doch viele Delegierte stehen da schon am Tresen, genehmigen sich nach fast vier Stunden das Feierabend-Bier. Und sagen hinter vorgehaltener Hand, dass die Rede kein Glanzstück war, und dass da noch viel Luft nach oben ist. "Aber nennen Sie meinen Namen nicht." Feierabend hat auch der Mann, der die Besucher bewirtet und den Parteitag technisch betreut hat: "TriBühne"-Chef Rajas Thiele hatte ein 20-köpfiges Team für Technik und Tresen aufgeboten. Bunte Softdrinks gab es, Frikadellen, Kartoffelsalat, Salat und Würstchen. "Alles ausverkauft", sagte Thiele. Er jedenfalls war zufrieden.