Immer wieder drohte der Regierung in Kiel das Ende. Nun steht es unmittelbar bevor. Die SPD kann es noch hinauszögern, aber kaum verhindern. Eine Analyse von unserem Korrespondenten Ulf B. Christen

Kiel. Als Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) gestern Abend das Ende der Großen Koalition einläutet, schaut er mehrfach auf die Uhr. "Ich muss zu Königin Silvia", sagt er mit Blick auf das Treffen mit der schwedischen Monarchin in Kiel. SPD-Chef Ralf Stegner kann Carstensens Kampfansage zunächst nicht kommentieren. Er hält gerade im Landeshaus eine politische Trauerrede für die frühere Sozialministerin Heide Moser (SPD).

Das Ende der Großen Koalition steht symbolisch für die letzten beiden Regierungsjahre. Carstensen und Stegner liegen politisch meist über Kreuz und können auch menschlich nicht zueinander finden. In keinem anderen Bundesland gab es so viele Regierungskrisen wie in Schleswig-Holstein. Und nirgendwo sonst räumen selbst Regierungsmitglieder unumwunden ein, dass die "Kieler Krawallkoalition" das Land mehr schlecht als recht regiert.

Mit Schuld daran ist der Geburtsfehler der Koalition im Frühjahr 2005. Die SPD will eigentlich gemeinsam mit Grünen und SSW regieren, landet nach dem "Polit-Mord" an Ministerpräsidentin Heide Simonis (SPD) aber als Juniorpartner in der ungeliebten Großen Koalition. Sie kann zunächst einige Erfolge feiern, leitet eine Schulreform und erste Sparmaßnahmen ein.

Die Wende kommt zwei Jahre später. Im März 2007 übernimmt Stegner den SPD-Landesvorsitz und schlüpft damit in die Rolle des Spitzenkandidaten, der Carstensen bei der nächsten Wahl aus dem Amt jagen will.

Seitdem hat es in der Kieler Koalition regelmäßig gekracht. Im Mai 2007 greift der damalige Innenminister Stegner die Sparbeschlüsse des Kabinetts an, im Herbst legt er nach. Carstensen rettet die Koalition in letzter Minute, zwingt Stegner aber zum Ausstieg aus dem Kabinett. Der SPD-Chef übernimmt im Januar 2008 die Landtagsfraktion. Der Dauerstreit geht gleichwohl weiter. Im April dieses Jahres hat Carstensen die Nase voll. Er bietet Stegner Neuwahlen an. Der lehnt auch mit Blick auf die schlechten Umfragewerte dankend ab.

Der Ton wird rauer. Vor vier Wochen steht die Koalition nach einem Streit um die Sparpolitik erneut vor dem Aus. Stegner wird von eigenen Genossen zurückgepfiffen. Die Koalition beschließt den Abbau von 4800 Stellen im Landesdienst bis 2020 und damit das bisher größte Sparpaket in Schleswig-Holstein. Seitdem streiten Carstensen und Stegner darüber, wer welche Sparaktion durchgesetzt oder verhindert hat.

Nur wenige Stunden vor dem Koalitionsbruch gestern geraten Carstensen und Stegner erneut aneinander. Der CDU-Chef fordert seinen SPD-Kollegen in einem Brandbrief auf, das Störfeuer gegen die Koalition einzustellen. "Ich bin nicht bereit, dies länger zu akzeptieren." Stegner gießt ebenfalls Öl ins Feuer. In einem Twitter-Beitrag im Internet wirft er Presse und Politik vor, in die Zeiten des früheren Ministerpräsidenten Uwe Barschel (CDU) zurückzufallen: "Medien zeigen Retro allenthalben: Politik und Publizistik im Stil vom SH der 70er-, 80er Jahre bevor Björn Engholm aufgeklart hat!"

Die CDU schäumt. Fraktionschef Johann Wadephul fordert Stegner auf, "Ross und Reiter" zu nennen. Carstensen zeigt sich verletzt. "Mich trifft das schon sehr", sagt er im Landtag, schaut zu Stegner hinüber und fordert eine Erklärung. Stegner schweigt. Carstensen legt nach, fordert den Obergenossen auf, die Koalition nicht durch taktische Spielchen infrage zu stellen. "Schluss mit der Taktik."

Stegner reagiert nicht und gibt sich später vor dem Plenarsaal gut gelaunt. "Ich bin ganz fröhlich und gelassen." Am Abend legt er nach. In dem Antwortschreiben an Carstensen bekennt Stegner sich zwar "ohne Wenn und Aber" zur Koalition, beharrt aber darauf, dass die SPD den umstrittenen Sonderzahlungen von 2,9 Millionen Euro an den Vorstandschef der HSH Nordbank, Dirk Jens Nonnenmacher, nie zugestimmt habe. Carstensen behauptet ebenso beharrlich das Gegenteil.

Die Opposition schüttelt angesichts des Gezänks den Kopf. "Kasperletheater" nennen die Grünen den Schlagabtausch zwischen den Parteichefs, die regelmäßig wie Hund und Katze übereinander herfallen und das Land gemeinsam an den Rand des Ruins regiert haben. Schleswig-Holstein steht vor dem Bankrott.