Die Anklage steht, im Oktober soll der Prozess gegen den Maskenmann beginnen. Drei Kindermorde hat Martin N. gestanden.

Stade/Hamburg. Es wäre der "Worst Case", der für viele Beteiligte wohl schlimmste Fall. Wenn Martin N. vor Gericht schweigen würde - was sein gutes Recht ist. Wenn er die grausigen Taten vor Gericht nicht gestehen würde. Eine lange Beweisaufnahme wäre unvermeidbar, vielleicht müssten alle 20 Missbrauchsopfer im Zeugenstand über ihre Begegnung mit dem "Maskenmann" berichten.

Noch ist völlig unklar, wie sich der mutmaßliche Mörder des kleinen Dennis K. und zweier weiterer Kinder verhalten wird, wenn er sich von Oktober an vor dem Landgericht Stade verantworten muss. Zwar hat der 40-Jährige die Taten bei der Polizei eingeräumt. Seitdem aber macht er von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch.

Ob er schweigt oder gesteht - Martin N. wird zur Verantwortung gezogen, die Staatsanwaltschaft Stade hat jetzt Anklage erhoben. Sie legt dem Pädagogen dreifachen Mord aus "Heimtücke" und "niederen Beweggründen" sowie sexuellen Missbrauch in 20 Fällen zur Last. Gestanden hatte er gar den Missbrauch von 40 Minderjährigen. "Doch 20 Fälle gelten bereits als verjährt", sagte der Sprecher der Stader Staatsanwaltschaft, Kai Thomas Breas.

Martin N.s erstes Mordopfer war demnach der 13 Jahre alte Stefan J., den er aus einem Internat in Scheeßel verschleppte. Im Mai 1992 wurde seine Leiche in Verden gefunden. Er habe den Schüler entführt, weil er ihn "süß" fand, zitiert der "Spiegel" aus den Vernehmungsprotokollen.

Als ihm klar geworden sei, dass der Junge das Kennzeichen seines Autos gesehen hatte, habe er ihn umgebracht und "verbuddelt". 1995 entführte Martin N. den achtjährigen Dennis R. aus einem Ferienzeltlager am Selker Noor bei Schleswig. Bevor er ihn tötete, habe er tagelang mit ihm wie Vater und Sohn in einem Ferienhaus in Dänemark gelebt. Eingeräumt hat Martin N. auch den Mord an Dennis K., 9, der im September 2001 aus einem Schullandheim in Wulsbüttel verschwunden war. Zwei Wochen später fand ein Pilzsammler den toten Jungen in der Nähe von Kirchtimke. "Unseren Erkenntnissen zufolge hat der Angeschuldigte ihn bereits im Schullandheim getötet", sagte Breas dem Abendblatt. Alle Jungs seien erwürgt worden.

Ob Martin N. noch mehr Kinder umgebracht hat, ist unklar. Die Morde an zwei Jungen in den Niederlanden und Frankreich hatte der 40-Jährige bei der Polizei geleugnet. Bereits vor einigen Wochen hatte die Soko "Dennis" eine weltweite Interpolanfrage gestartet, um herauszufinden, ob er in vergleichbaren Fällen als Täter infrage komme. Ein Ergebnis steht noch aus.

Jahrelang führte der Pädagoge und Jugendbetreuer ein Doppelleben. Schwarz gekleidet, das Gesicht unter einer Maske verborgen, verging er sich in Zeltlagern, Schullandheimen und Einfamilienhäusern an Kindern. Doch Martin N. tarnte sich nicht nur, wenn er sich der Jungen bemächtigte, er schirmte auch sein Privatleben perfekt ab. Nachbarn beschreiben ihn als unauffällig, hilfsbereit und intelligent.

Zehn Jahre lebte N. in Hamburg, zuletzt an der Jägerstraße in Wilstorf. Doch im Februar 2011 bahnte sich eine Wende an: Ein Soldat, der lange im Ausland gelebt hatte, erinnerte sich an einen Opel Omega Caravan, in dem Jahre zuvor vorne ein Mann und hinten ein verängstigter Junge saß. Der entscheidende Hinweis. Am 12. April fing die Polizei N. auf dem Weg zur Arbeit ab.

Der 40-Jährige sitzt in der Justizvollzugsanstalt Sehnde ein. In Stade wird der Fall verhandelt, und dort wird Martin N. den Hinterbliebenen seiner Mordopfer gegenübersitzen - drei Angehörigenfamilien und ein Missbrauchsopfer haben sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen. Ihm droht eine lebenslange Freiheitsstrafe. Sollte das Gericht eine "besondere Schwere der Schuld" feststellen, könnte er frühestens nach 20 Jahren auf Bewährung entlassen werden.

Von August an begutachtet ihn der renommierte Münchner Psychiater Norbert Nedopil. Viel hängt von seiner Expertise ab. Sollte er N. eine "erheblich verminderte Schuldfähigkeit" attestieren, wären eine Strafrahmenverschiebung und die Verhängung einer zeitlich begrenzten Freiheitsstrafe denkbar. Das Gutachten entscheidet mittelbar auch über eine an die Strafhaft anschließende Sicherungsverwahrung. Bejaht Nedopil eine von Martin N. ausgehende "Gefährlichkeit für die Allgemeinheit", könnte das Gericht die Maßregel anordnen - er bliebe womöglich bis an sein Lebensende hinter Gittern.

Vertreten wird er von den Anwälten Christian Esche (Hamburg) und Ralph Wichmann (Stade). Seine Pflichtverteidiger standen sich zuletzt im Stader Mammutprozess um das Blutbad in einem chinesischen Restaurant in Sittensen als Gegner gegenüber. Esche vertrat ein Opfer, Wichmann stritt für einen Angeklagten. Weder zum aktuellen Fall noch zu ihrem Mandanten wollen die Anwälte aktuell Angaben machen. Man stehe schließlich "ganz am Anfang".