In Dithmarschen spitzt sich der Mangel an Allgemeinmedizinern zu. Eine Werbekampagne soll Hausärzte für die Arbeit auf dem Land begeistern.

Pahlen. "Was macht der Fuß, Frau Koll?", ruft Reimar Vogt freundlich über den Gartenzaun. Die ältere Dame wartet schon an der Pforte und lächelt ihm zu. Hausbesuch auf dem Dorf - für den Allgemeinmediziner ist das mehr als nur das tägliche Geschäft, er nennt es die Königsdisziplin als Arzt. "Den Patienten in seiner häuslichen Umgebung kennenzulernen, das hat was", schwärmt der 45-jährige gebürtige Hamburger. "Das Schöne ist, dass man den ganzen Menschen behandelt. Und vom Frühgeborenen bis zum Greis deckt man alles ab. Ich könnte ein Kind auf die Welt bringen und Leute wiederbeleben."

Reimar Vogt hat sich im Juli 2010 in Pahlen (Kreis Dithmarschen) als Hausarzt niedergelassen und gehört damit zu jenen Medizinern, die die Kassenärztliche Vereinigung Schleswig-Holstein händeringend sucht. Um mehr Nachwuchsärzte fürs Land zu begeistern, hat sie die Kampagne "Land. Arzt. Leben!" gestartet. Denn etwa die Hälfte der 1900 Hausärzte in Schleswig-Holstein ist schon älter als 50, jeder fünfte sogar schon über 60. "In den nächsten Jahren werden rund 900 Hausärzte in den Ruhestand gehen", sagt Marco Dethlefsen, Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung. Allein in Dithmarschen fehlen schon sieben Hausärzte.

Die kleine Gemeinde Pahlen mit ihren 1200 Einwohnern hat es sich einiges kosten lassen, einen Nachfolger für den Hausarzt Gert Schanen zu finden, der sich mit Ende 60 langsam zur Ruhe setzen möchte.

"Arztzentrum Pahlen-Dörpling" steht am Eingang der Praxis - der Nachbarort Dörpling mit seinen 700 Einwohnern wird hier ärztlich mitversorgt. "Wir haben das Gebäude der früheren Raiffeisen-Genossenschaft, das der Gemeinde gehört, umgebaut", sagt Bürgermeister Jörg Patt (CDU), seit 2007 im Amt. Die Gemeinde baute das Gebäude um und stattete die 350 Quadratmeter große behindertengerechte Praxis komplett aus. Reimar Vogt zahlt dafür Miete.

Kaufmann, Schlachter, Bäcker, Schule und Kindergarten gibt es in Pahlen noch. Ein Arzt ist ein weiterer wichtiger Standortfaktor, wenn man wie Patt ein Neubaugebiet vermarkten will. "Wenn wir an Infrastruktur verlieren, kriege ich meine 40 Grundstücke im Neubaugebiet nicht verkauft", fürchtet der Bürgermeister.

Reimar Vogt, der zuletzt in einer Gemeinschaftspraxis in Wesselburen tätig war, würde dort gern als Nachfolger rasch jemanden engagieren. "Gern auch Teilzeit, mir ist alles willkommen. Wer eine stabile wirtschaftliche Grundlage haben will, ist als Landarzt besser dran als in der Stadt."

So nachdrücklich wie Pahlen suchte auch Friedrichskoog nach einem neuen Hausarzt. Denn zu den 2450 Einwohnern kommen in dem Nordseeheilbad 3000 Gästebetten. Ohne ortsansässigen Arzt würde die Gemeinde den Status als Kurort verlieren. "Der letzte Doktor kam mit den Leuten nicht zurecht", sagt Bürgermeister Gerd Dethlefs. Auch in Friedrichskoog hat die Gemeinde die Praxis für etwa eine Viertelmillion saniert.

Der neue Arzt komme mit den Patienten sehr gut klar, sagt Dethlefs. Aber auch hier gab es Anfangsschwierigkeiten, denn James Peter Tucker aus Sierra Leone ist dunkelhäutig - und das im tiefschwarzen Dithmarschen, politisch gesehen. "Wenn dor een Neger kommt, dor geit wi nie hin", hätten einige Ortsbewohner gesagt, bekennt Dethlefs. Inzwischen habe der Doktor ein sehr gutes Verhältnis zu den Leuten und sei mit den meisten Patienten per Du.

"Dr. Tucker war vorher in Schweden, und er bietet den Leuten an, dass sie ihn duzen", sagt der Bürgermeister. Dann lacht er, als er von einer Patientin erzählt, die mit ihrem gebrochenen Zeh schnell einen Arzt brauchte. "Hinterher hat sie gesagt: 'Ist das ein netter Arzt, und so schwarz ist er ja gar nicht.'"

Im 25 Kilometer entfernten St. Michaelisdonn ist Rainer Schmölz gerade dabei, seine Praxis aufzulösen, die er Ende März geschlossen hat. Seit 1978 hat der gebürtige Kölner hier neben dem Rathaus praktiziert. Einen Nachfolger hat der 66-Jährige bislang nicht gefunden. Seine drei Mitarbeiterinnen mussten sich arbeitslos melden.

Daran, dass es weitergeht, ist nicht nur ihm, sondern auch Bürgermeister Volker Nielsen sehr gelegen. "Noch gibt es fünf Allgemeinmediziner. Aber zwei gehen in den nächsten Jahren in den Ruhestand." Nielsen möchte nicht, dass sich die medizinische Versorgung verschlechtert. Er hat die Homepage der Gemeinde auf den neuesten Stand gebracht. "Das ist doch das Erste, was man heutzutage macht. Man informiert sich im Internet", sagt der Bürgermeister von St. Michaelisdonn.

Leicht sei es für junge Ärzte heutzutage nicht, sich niederzulassen, sagt Schmölz und kritisiert die Kassenärztliche Vereinigung. "Wir machen Gebührenordnungsmedizin. Das macht die Arbeit und den Verdienst unkalkulierbar." Er habe im vierten Quartal für 100 Patienten, die er behandelt hatte, kein Geld bekommen, weil er das Budget überzogen hatte. "Hätte ich sie wegschicken sollen?"

Reimar Vogt hat seinen Schritt nicht bereut. Er, der eigentlich nie nach Dithmarschen wollte, fühlt sich auf dem platten Land wohl und will jungen Ärzten Mut machen: "Der Menschenschlag hier, das sind grundehrliche Leute. Wenn sie einen nicht mögen, sagen sie einem das. Aber sie sagen einem auch, wenn sie einen mögen."