Organisation Peta deckt Tierquälerei in Mastbetrieb auf und stellt Strafanzeigen. Monatelang wurde heimlich in den Ställen Beweise gefilmt.

Hannover. Deutschlands Agrarland Nummer eins kommt nicht zur Ruhe: Nur wenige Monate nachdem der Dioxinskandal europaweit für Empörung gesorgt hat, steht die niedersächsische Landwirtschaft erneut am Pranger. Tierschützer von Peta haben bei der Staatsanwaltschaft Oldenburg Strafanzeigen gegen einen familiär geführten Mastputenbetrieb aus Emstek bei Cloppenburg gestellt. Der Tierhalter war laut Landkreis Cloppenburg bereits 2008 wegen tierseuchen- und tierschutzrechtlicher Verstöße aufgefallen.

Zahllose Fälle von Tierquälerei und Verbrauchertäuschung, so lautet der Vorwurf von Peta. Die Anzeigen basieren auf Videos, die über Monate in Ställen aufgenommen wurden. Sie richten sich auch gegen den Mästerkreis Heidemark und das Cloppenburger Veterinäramt inklusive des zuständigen Amtstierarztes wegen des flächenmäßigen Einsatzes von Antibiotika sowie fehlender Sanktionen gegen die Haltungsbedingungen. Auch eine für den Transport zur Schlachterei verantwortliche Spedition wurde angezeigt. Das Video zeige, so Peta, wie Mitarbeiter Tausende lebende Puten zur Verladung brutal in den Lastwagen schleuderten.

"Die Agrarindustrie in Niedersachsen ist organisierte Kriminalität", sagte Peta-Experte Edmund Haferbeck in Hannover. "Das sind alles Lügner, die wollen doch gar nichts ändern." Zudem würden Bund und Land die Praxis wissentlich dulden, denn die Tiere würden ausnahmslos in allen Mastbetrieben gequält, behauptet Haferbeck.

Mit seiner Kritik, in die er lautstark auch Justiz und Politik einbezieht, widerspricht Haferbeck dem seit Januar im Land verantwortlichen Agrarminister Gert Lindemann (CDU). Dieser hatte das schwierige Ressort mit dem Anspruch übernommen, mehr Transparenz und besseren Tierschutz durchsetzen zu wollen. Niedersachsen wollte so verlorenes Vertrauen der Verbraucher zurückgewinnen und den finanzträchtigen Wirtschaftszweig schützen.

Für Lindemann dürften damit hektische Zeiten anbrechen. Am Montag habe sein Haus den Landkreis um zeitnahe Informationen zu dem "Einzelfall" gebeten, sagte seine Sprecherin. Mehr könne derzeit nicht gesagt werden. Agrarminister Lindemann selbst äußerte sich nicht.

Kritik an den Haltungsbedingungen übt jetzt auch der zuständige Landkreis. Bei einer Kontrolle am 4. April seien Tierschutzverstöße festgestellt worden. Unter anderem habe es keine vorgeschriebene Krankenbucht für verletzte Tiere gegeben. Auch seien verendete Tiere "nicht mit der nötigen Sorgfalt" aus den Ställen entfernt worden. Der Tierhalter sei daher unter Androhung von einer Strafzahlung zur Verbesserung aufgefordert worden. "Zudem wird geprüft, ob der Vorgang zu strafrechtlichen Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft übergeben wird." Der Mästerkreis Heidemark, der nach Angaben der Tierrechtsorganisation unter anderem Discounter wie Lidl und Aldi beliefert, war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen.

"Lindemann kündigt ständig mehr Tierschutz an, doch geändert hat sich nichts", kritisiert die Linke. Auch SPD und Grüne fordern wieder all jene Reformen, die schon im Vorjahr die Runde machten - Verbot von Qualzuchten, Verzicht auf Antibiotika und mehr unabhängige Kontrollen. Allen - auch CDU und FDP - ist klar: "Ein ,Weiter so' in der Putenmast geht nicht mehr."

Dies hatte nach seiner Vereidigung auch Lindemann gesagt: "Eine solche Problemlage bietet dem Neuen auch die Chance, Schwächen zu erkennen und auszuräumen." Worte, denen angesichts von Videos mit Puten, die nicht laufen können und neben verwesenden Artgenossen ihr Dasein fristen, Taten folgen müssten, fordert die Opposition.

Denn jetzt hat Lindemann den ersten Fall von Tierquälerei, der in seine Amtszeit fällt. Und wie wackelig der Stuhl des Agrarministers sein kann, hatte im Vorjahr seine Vorgängerin und Parteifreundin Astrid Grotelüschen zu spüren bekommen. Nur acht Monate nach ihrer Vereidigung musste sie gehen, war wegen ihrer familiären Beziehung zur Ahlhorner Mastkükenbrüterei "zu einer Belastung" für die schwarz-gelbe Landesregierung geworden.