Ex-Mitarbeiter der Asse werfen den Verantwortlichen einen schlampigen Umgang mit Atommüll vor

Hannover. Ausgerechnet in einem von Wassereinbrüchen heimgesuchten und einsturzgefährdeten ehemaligen Salzbergwerk hat die Bundesrepublik Deutschland zwischen 1967 und 1978 rund 126 000 Fässer mit radioaktiven Abfällen entsorgt. Seit anderthalb Jahren versucht ein Untersuchungsausschuss des niedersächsischen Landtages die Frage zu klären, wie es dazu in dem Bergwerk Asse bei Wolfenbüttel kommen konnte. Als letzte Zeugen hörte der Ausschuss gestern zwei ehemalige Bergleute, die an Blutkrebs erkrankt sind.

Sie berichteten von einem offenbar sorglosen Umgang der Verantwortlichen mit Radioaktivität, vom Verzicht auf Schutzkleidung und Dosimeter für Strahlenkontrollen. Nur eine Stammzellenspende seines Bruders hat dem 48-jährigen Bergmann Eckbert Duranowitsch das Überleben ermöglicht, er klagte gestern ehemalige Vorgesetzte an: "Es war gewissen Leuten bekannt, dass wir es mit hochgradig kontaminierten Laugen zu tun hatten, aber diese Dokumente sind nicht an die Mitarbeiter unter Tage gegangen." Seit Juni 2009 hat der Ausschuss in mehr als 60 Sitzungen Zeugen gehört und tonnenweise Akten ausgewertet.

Die Fraktionen sind sich weitgehend einig, dass das ehemalige Bergwerk niemals hätte Endlager werden dürfen. Weil die akute Gefahr besteht, dass die Grube absäuft, plant das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als Betreiber die Rückholung des kompletten Abfalls. Geschätzte Kosten: mindestens zwei Milliarden Euro. Das Bundesamt ist auch beteiligt an dem Versuch, zu klären, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen dem Atommüll und der deutlich erhöhten Leukämieraten bei Männern bzw. Schilddrüsenkrebs bei Frauen im direkten Umfeld der Asse. Hinzu kommt eine deutlich geringere Geburtenrate von Mädchen.

Wissenschaftler werden jetzt die vom Ausschuss erhobenen Beweise sortieren und einen Grundlagenbericht erarbeiten. Ab Mitte des Jahres wird der Ausschuss dann versuchen müssen, mögliche Versäumnisse und Irrtümer von Politik und Wissenschaft zu bewerten, die zum Teil mehr als 40 Jahre zurückliegen. Dass damals die Dimension der Aufgabe - eine sichere Aufbewahrung des Atommülls für Hunderttausende von Jahren - nicht hinreichend erkannt wurde, dürfte dabei unstrittig sein. Unwahrscheinlich ist, dass die Fraktionen auch die Konsequenzen einheitlich beurteilen. SPD, Grüne und Linke sehen durch die Asse bewiesen, dass atomare Endlagerung im Salz grundsätzlich ein Irrweg ist. CDU und FDP dagegen wollen den Salzstock im wendländischen Gorleben weiter auf Eignung als Endlager sogar für hoch radioaktiven Müll untersuchen.