Editors, Wilco, Kettcar, The Flaming Lips und 2500 Fans. Eine spießige Ferienanlage verwandelte sich in ein Mini-Woodstock.

Weissenhäuser Strand. Keine Zeltstädte, in denen sturztrunkene Teenager in ihren eigenen Essensresten dahinvegetieren. Keine Dixiklo-Legionen. Keine Schlammwüste. Und das sollte ein Rock-Festival sein? Nicht nur auf den ersten Blick war der erste "Rolling Stone Weekender" am Weissenhäuser Strand alles andere als vergleichbar mit dem Hurricane-Festival in Scheeßel oder dem Wacken Open Air bei Itzehoe. Ein familienfreundliches Festival mit dem Anspruch eines Kurzurlaubs sollte es sein, und diesen Anspruch hat es auch nahezu perfekt erfüllt.

Statt auf dem Eichenring in Scheeßel oder auf Wackener Äckern wurde an zwei Abenden in einer Ferienanlage gerockt, die nicht von ungefähr eine grundsätzliche Spießigkeit vermittelte - nicht die Spur Rock 'n' Roll. Trotzdem haben sich der Hurricane-Veranstalter FKP Scorpio und das renommierte Musikmagazin "Rolling Stone" entschieden, den Weissenhäuser Strand in Beschlag zu nehmen. Das Prinzip des "Weekenders", sprich des Einfallens von Rockbands und Fans in Freizeitheimen an der Küste, hat in britischen Seebädern eine jahrzehntelange Tradition und mittlerweile auch den Weg an Deutschlands Küsten gefunden. Der "Baltic Soul Weekender" zum Beispiel mietet sich seit 2007 jedes Frühjahr mit Soul-Bands und DJs am Weissenhäuser Strand ein - was mit Soul funktionierte, wurde nun mit Rock ausprobiert.

23 Bands besuchten das Feriendorf mit einer großen Zeltbühne und zwei kleineren Sälen, darunter sowohl deutsche Künstler wie Kettcar und Gisbert zu Knyphausen, internationale Bands der Stunde wie Editors sowie Kritikerlieblinge von damals (Gov't Mule) bis morgen (Cymbals Eat Guitars). Abgerundet wurde das Programm durch die "Motorbooty"-DJs aus dem Hamburger Molotow, Kurzfilme und Lesungen mit Woodstock-Experte Frank Schäfer und "Fleckenteufel"-Autor Heinz Strunk. Letzterer hatte mit seinen schrägen Teenager-Abenteuern am Strand von Scharbeutz gleich den richtigen Auftakt geliefert. Wer diese Bands und Künstler erleben wollte, der musste durchaus tief in die Tasche greifen. Ist man in Wacken oder beim Hurricane mit - je nach Frühbucherpreisen - 99 bis 120 Euro für über 60 Bands dabei, so zahlte der Weekender-Gast zwischen 119 (Zehn-Personen-Bungalow) und 219 Euro (Zwei-Personen-Appartement). Doch der Gegenwert für die 2500 Besucher stimmte: kurze Wege, Übernachtung mit eigenen Bett, WC, Dusche, Herd, Mikrowelle, Kühlschrank, Strand, Kinderbetreuung, freier Eintritt im Erlebnisbad und gegen Aufpreis Wellness (Kopfschmerz-Massage!), Bowling und andere Annehmlichkeiten - und fantastische, wetterunabhängige Konzerte.

Vor allem die Editors gehörten zu den absoluten Highlights. Die düster-melancholischen Indie- und Wave-Rocker aus Birmingham beeindruckten mit sowohl akustischer als auch atmosphärischer Dichte und mächtigen Beats, die so druckvoll waren, dass sie selbst den Rauchern vor dem Zelteingang durch Mark und Bein gingen. Spektakulär waren auch die Flaming Lips aus Oklahoma. Musikalisch hatte sich der progressiv-abgefahrene Rock zwar nach drei Songs erschöpft, aber in Sachen Show konnte keiner der 1983 gegründeten Truppe um Sänger Wayne Coyne das Wasser reichen. Ganze Schauer von Konfetti und Ballons hagelten auf das Publikum, über das Coyne in einem riesigen aufblasbaren Ball hinwegrollte. Gisbert zu Knyphausen quetschte sich mit seiner Band auf die Bühne des aus allen Nähten platzenden "Witthüs", die zwei Schweden von Friska Viljor (ungewohnt unbesoffen) begeisterten mit Songgeschichten aus der "Wohlwillstraße", Wilco rockte das Zelt, und Bartzausel Wiliam Fitzsimmons bat zum Sit-in in den Festsaal. Fitzsimmons und Friska Viljor waren auch stellvertretend für den einzigen Kritikpunkt am "Rolling Stone Weekender": Vor allem am Sonnabend dominierten mit Akron/Family, Brett Dennen, Roddy Frame und Billy Bragg zu sehr die Songwriter-Nerds und Neohippies. Aber insgesamt war es das entspannendste (und sauberste) Festival des Jahres. Für etwas ältere Musikfans mit oder ohne Familie ergibt sich auch nächstes Jahr eine empfehlenswerte Alternative zur üblichen Schlammsuhle.

Baltic Soul Weekender 23.-25.4.2010, www.baltic-soul.de

Rolling Stone Weekender 12.-13.11.2010, www.rolling-stone-weekender.de