Im Cuxhavener Kompetenzzentrum werden Offshore-Techniker für das Überleben auf See ausgebildet. Abendblatt-Reporter machte mit.

Cuxhaven. Mit einem Klacken rastet der Beckengurt ein, dann die beiden Hosenträgergurte: Klack! Klack! Unerbittliche Geräusche, die das zu besiegeln scheinen, was nun kommt: Ausstiegsübung aus einer simulierten Hubschrauberkabine. Unter Wasser, festgeschnallt auf dem Sitz und mit verbundenen Augen. "Ein Scheißgefühl", sagt Dennis Vyskocil. Der stämmige Handwerker steht wie wir anderen Seminarteilnehmer am Beckenrand eines Freibades im Kreis Cuxhaven und blickt skeptisch auf die Szene, wo der Erste aus der Gruppe auf dem Alugestell fixiert wird. Vier Jahre war der 32-Jährige Fallschirmjäger bei der Bundeswehr, jetzt baut er Fundamente für die neuen Windkraftanlagen auf der Nordsee. Doch für diesen Job braucht er ein Zertifikat, das alle Hochsee-Techniker alle zwei Jahre erneuern müssen: Überlebenstraining auf See, heißt der Kursus im neuen Cuxhavener Offshore-Kompetenzzentrum. Eine Art Survival-TÜV für einen Berufszweig, der zurzeit enorme Zuwachsraten erlebt.

"Männer", ruft Ausbilder Rolf Fremgen in die Runde, "es geht weiter, wer will als Nächstes?" In einem Neoprenanzug und mit Schnorchelmaske im Haar wartet er im Wasser und beobachtet die Runde scharf: Könnte da einer unter Wasser ausflippen, in Panik geraten? Beim wem flattern die Augenlider? Der stämmige Oberstabsbootsmann a. D. kennt solche Anzeichen gut. Viele Jahre lang war er Ausbilder bei den Marine-Fliegern in Nordholz bei Cuxhaven. Überleben und Rettung auf See waren und sind sein Spezialgebiet. Lachfalten und ein freundlicher Schnurrbart erinnern wenig an einen Marine-Ausbilder, wie man ihn aus dem Kino zu kennen glaubt. Eine kleine Ausbuchtung wölbt das Neopren im Hüftbereich. "Eine Lebensversicherung bei Kälte", sagt Fremgen und grinst. Vor fünf Jahren wurde er mit 53 Jahren, wie beim Bund üblich, pensioniert. "Ich fühlte mich aber zu jung, um aufzuhören", sagt er. Der Cuxhavener gründete daher sein Sea Survival Center. Zunächst als Ein-Mann-Betrieb. Gedacht, um Segelvereine zu beraten. Doch dann kam der Windkraftboom nach Cuxhaven:

Seit einem Jahr verändert der Bau von Windkraftanlagen auf hoher See, im Offshore-Bereich, das Gesicht der Stadt. Schon lange bevor der Zug aus Hamburg im Cuxhavener Bahnhof hielt, fällt diese Veränderung auf. Mächtige, gelbe Dreibeine stehen am Ufer, hoch wie mehrstöckige Häuser. Cuxhaven Steel Construction (CSC) baut diese Mühlen-Fundamente, verlädt sie in dem neuen Spezialhafen. Mehr als 50 Milliarden Euro sollen bis 2030 in die Windindustrie im Norden investiert werden. 5000 Anlagen auf hoher See sind in Planung oder zum Teil bereits in Bau. "Windkraft wird einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren im Norden", sagt Hans-Gerd Busmann vom Fraunhofer Institut für Windenergie. 30 000 neue Jobs sollen in Cuxhaven, Bremerhaven oder Emden entstehen. Und alle diese Spezialisten müssen sich dazu für die harten Bedingungen auf See rüsten. Im Cuxhavener Offshore-Kompetenzzentrum werden die Voraussetzungen dafür gebündelt: besondere Schweißtechniken, Arbeiten unter Salzwassereinfluss oder eben Notfälle auf See - das sind dort Themen. Das Sea-Survival-Center von Oberstabsbootsmann a. D. Fremgen ist ein Part des Zentrums, dem auch Seefahrtschule und Berufsschule angehören. Ein kleiner Teil im riesigen Rad, das hier für die Offshore-Windkraft so viel Schwung aufgenommen hat.

Mittlerweile bildet Fremgen zwölf Offshore-Techniker pro Woche aus und beschäftigt vier Mitarbeiter: wie Signalraketen abgefeuert werden, medizinisches Wissen übers Ertrinken und Erfrieren - so etwas gehört zum Theorieteil. Zur Sache geht's im Freibad: "19 Grad" steht in verwaschener Schrift auf einem Schild am Beckenrand. Muss noch aus dem Sommer stammen: "Es sind 17 Grad", ruft jemand aus der Gruppe, der gemessen hat, "vielleicht auch weniger". Wassergewöhnungsübung heißt der erste Teil der kalten Praxis. Wie Sträflinge in einheitlicher Blaumannkluft sind die Seminarteilnehmer angetreten. Aus einem Hubschrauber-Simulator sollen sie im Schlusssprung ins Wasser springen. Der "Hubi" ist kurz vor einer Notwasserung, so das Szenario. "Ditching, ditching, ditching", brüllt Fremgen und wirkt gar nicht mehr so gemütlich. Einer nach dem anderen springt in die gefühlte Tiefkühltruhe. Es raubt den Atem, das Herz rast. "Luft anhalten", ruft Fremgen. Eine Übung, um den Kälteschock zu trainieren, der im Notfall viel dramatischer ist: Auch ein geübter Schwimmer kann im kalten Wasser schnell durch die reflexartige Schnappatmung und Muskelversagen den Tod finden, schneller noch als durch Unterkühlung. Experten wie Fremgen raten daher dazu, im Seenotfall so viel Bekleidung wie möglich zu tragen, nicht zu schwimmen. Wasser leitet die Wärme 25-mal schneller ab als Luft, bei Bewegung noch schneller.

Nächster Teil der Übung: im Überlebensanzug ins Wasser springen und eine Rettungsinsel besteigen. Wie übergewichtige Teletubbies bewegen wir uns darin, Schwimmen wird zur Höchstleistung. Mit letzter Kraft geht es in die Insel, alle liegen übereinander, keuchen. Einer aus der Gruppe fängt an zu zittern. Muskelzittern, das wissen wir nun, ist nur das erste Anzeichen einer beginnenden Unterkühlung. Später wird ein Schiffbrüchiger apathisch, der Puls wird schwach, irgendwann dämmert man in den Tod. 15 Minuten nur dauert es bei null Grad. In unseren Fall naht aber Rettung. Statt Hubschrauber ist es ein Kranwagen, der ein Seil herunterlässt. Es muss kurz ins Wasser tauchen, um sich elektrisch zu entladen. Dann erst zugreifen, hat Ausbilder Fremgen eingeschärft. Fest drückt die Schlinge zu, als es hochgeht.

Zum Schluss der Praxisübung dann der Unterwasser-Ausstieg im Alu-Käfig. Simuliert wird die Notwasserung eines Helikopters, dem wichtigsten Transportmittel der Offshore-Industrie. Immer wieder üben die Teilnehmer, wie sie Gurte lösen, die Tür öffnen und gleichzeitig sich festhalten müssen - auch wenn es kopfüber ins Wasser geht. "Oben ist, wo die Luftbläschen hintreiben", ruft Ausbilder Fremgen noch. Und dann: "Ditching, ditching, ditching." Das Wasser sprudelt in die Nase, oben ist nicht mehr oben, unten nicht mehr unten. Wo sind die verdammten Luftblasen? Wo ist die Tür? Da die Gurte, Klack! Klack! - und raus an die Luft. Eine bedrückende Erfahrung, die hoffentlich nie Realität wird.