Traumpartner für 1,99 Euro. Hunderttausende antworteten auf die verlockende Botschaft. Doch alles war nur schöner Schein.

Kiel. Die Kunden wurden millionenfach per E-Mail angelockt. Traumpartner sollten vermittelt werden, die große Liebe auf digitalem Wege finden. Doch statt erhoffter Partner antworteten im SMS-Chat angestellte Animateure mit gefälschten Profilen - die Blondine musste also gar nicht blond sein. Die Betreiber kassierten pro Antwort 1,99 Euro. War die Flirt-Abzocke gewerbsmäßiger Betrug, wie die Kieler Staatsanwaltschaft in ihrer Anklage unterstellt? Oder muss man in der virtuellen Realität mit allem rechnen, wie die Verteidigung meint? Die heikle Rechtsfrage beschäftigt von diesem Donnerstag an das Kieler Landgericht.

Im ersten Verfahren müssen sich sechs Hauptangeklagte vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer verantworten - allesamt Betreiber von SMS-Chats. Drei von ihnen sitzen seit Ende 2008 in Untersuchungshaft. Sie sollen 700 000 Handy-Nutzer um rund 46 Millionen Euro geschädigt haben. Vier weitere Betreiber, einer davon ebenfalls in U-Haft, warten auf ein zweites Verfahren, dessen Termin noch nicht feststeht. Auch dabei geht es um Superlative: Hier sollen rund 300 000 Geschädigte um rund elf Millionen Euro erleichtert worden sein. Zudem laufen wegen der Flirt-Abzocke noch Ermittlungen gegen 200 weitere Personen.

Im Kern geht es vor der Großen Wirtschaftsstrafkammer um die Frage: Täuschten die Absender der Mails die Adressaten bewusst, um sie immer wieder in den teuren Chat zu locken? Das wäre Betrug. Oder muss ein Kunde von Flirt-Chats wissen, dass der Partner am anderen Ende nicht real existiert und ihm nur kostenpflichtige Dienstleistungen bietet? So läuft das bei Telefonsex-Hotlines. Für Betrug bei den Flirt-SMS könnte sprechen, dass die Kammer das Verfahren überhaupt eröffnete. Denn dazu müssen die Richter einen hinreichenden Tatverdacht bejahen und eine Verurteilung zumindest für wahrscheinlich halten. Höchststrafe für schweren Betrug wären zehn Jahre Haft.

Das lukrative Geschäft mit der Sehnsucht brummte. Rund 30 Millionen SMS schickten Handy-Nutzer an die von den Angeklagten kontrollierten Kurzwahlnummern, sagt Oberstaatsanwalt Uwe Wick. Jahrelang sammelten Fahnder akribisch Fakten - die Anklage ist über 220 Seiten dick. Zum Prozessauftakt werden zwei Staatsanwältinnen die 22 Seiten des Anklagesatzes vortragen. Zwölf Anwälte sind aufgeboten, die Vorwürfe zu entkräften.

Die Verteidiger Gerald Goecke und Michael Gubitz kritisieren schon im Vorfeld "Besonderheiten" des Verfahrens. Die Staatsanwaltschaft nenne Fantasiezahlen in der "Hoffnung auf öffentliche Wirkung und Vorverurteilung", rügen sie. Goecke und Gubitz sind sich sicher, dass sich die von der Staatsanwaltschaft genannten Angaben zu Geschädigten und Schadenssumme im Prozess als nicht haltbar erweisen werden. Nach Ansicht der Anwälte blendet die Anklage aus, "dass es zahlreiche Personen gab, die mit der geführten Kommunikation sehr zufrieden waren und sich nicht mehr erwartet haben". Gubitz und sein Kollege verweisen auf den Generalstaatsanwalt von Bremen, der bei SMS-Chats bereits 2004 Betrug verneint habe, weil es dabei "um eine lediglich virtuelle Realität geht".

Auf das Gericht kommt möglicherweise ein Mammutverfahren zu. "Die Kammer rüstet sich für ein längeres Verfahren. Es ist ein umfangreicher, komplizierter Prozess, sagt Landgerichtssprecherin Susanne Bracker. Der Vorsitzende Richter Gunther Döhring terminierte bereits vorsorglich bis Jahresende mit Dienstag und Donnerstag zwei Termine pro Woche. Ab Januar 2010 soll sogar noch der Montag als dritter Sitzungstag hinzukommen, wenn das nötig sein sollte. Nicht nur bei Verbraucherschützern scheint das Interesse groß zu sein. Auch Internet-Foren blicken wegen des Falles in den Norden.