Die öffentliche Wahrheit ist eine der wichtigsten Grundlagen der Demokratie. Die öffentliche Lüge erschüttert das Vertrauen in den Politiker, der sie begeht.

Das wusste schon Konrad Adenauer, der erste Kanzler der Bundesrepublik, und definierte für sich gleich drei Formen der Wahrheit: die einfache, die reine und die lautere - wie viel an Wahrheit er in der politischen Auseinandersetzung gerade preisgeben wollte. So musste danach die reine Wahrheit noch lange nicht die volle sein.

Die Begründung, mit der der amtierende Ministerpräsident Peter Harry Carstensen die Große Koalition aufkündigte, war zumindest falsch - also auch nicht wahr. Nur etwas zu flott formuliert, wie der CDU-Politiker einräumen musste? Sein SPD-Kontrahent Ralf Stegner hatte nämlich nicht als Fraktionsvorsitzender den umstrittenen Sonderzahlungen für den HSH-Nordbank-Chef zugestimmt.

Aber was ist noch wahr in Kiel in diesen Tagen? Sicher ist auf jeden Fall dies: Carstensen braucht den vorgezogenen Urnengang, um im Sog von Angela Merkel und der Bundestagswahlen sicher bestehen zu können. Würde erst in einem Jahr gewählt, könnte der Mann nicht einmal sicher sein, von der eigenen CDU gewählt zu werden - zu groß ist der Unmut über seine mangelnde Fortüne. Stegner muss dagegen vorgezogene Neuwahlen fürchten wie der Teufel das Weihwasser. Er und seine Kieler Genossen befinden sich im gleichen Umfragetief wie die Bundes-SPD - und sind im Moment wohl chancenlos.

Kündigung der Koalition, Vertrauensfrage oder Rücktritt? Geht es um die Bürger oder um das Land? Zurzeit werden viele Schein-Argumente ausgetauscht. In Wahrheit geht es um die jeweils beste Ausgangsposition. Das heißt um die Macht. So einfach ist das. Frei nach Adenauer auch die volle Wahrheit.