Am Sonntag werden zehn Seezeichen an der Elbe für Besucher geöffnet. Anne Herzig erzählt vom Alltag im Turm. Putzen, warten, immer in Bereitschaft, damit die Lichter nicht ausgehen.

Krautsand

"So romantisch, wie sich viele Leute das Leben als Leuchtturmwärter vorstellen, war es wirklich nicht", sagt Anne Herzig. Die alte Dame beugt sich in ihrem Sessel nach vorn. "Es war gewöhnlich harte Arbeit, und wenn wir Sturm hatten, war es auch eine Angstpartie." Anne Herzig (81) ist die Witwe des letzten Leuchtturmwärters von Krautsand und war selbst Hilfsleuchtturmwärterin, bevor sie nach 25 Dienstjahren 1982 in den Ruhestand ging. Sie ist womöglich die letzte Zeugin aus dieser vergangenen Zeit.

Zwar leiten die rot-weißen Türme nach wie vor die Schiffe sicher die Elbe entlang, aber die Lichter werden seit Ende der 1970er-Jahre von der Verkehrszentrale in Brunsbüttel elektronisch gesteuert. Die moderne Technik macht es zudem möglich, dass 35-Watt-Halogenscheinwerfer das erledigen, was früher Luftballongroße Glühbirnen und noch davor Petroleum- und Gaslampen verrichtet haben.

Diesen Sonntag, am ersten Elbe-Leuchtturm-Tag, werden zehn Türme für Besucher geöffnet. Einen Leuchtturmwärter wird es nirgends mehr geben. Kurt Herzig, Annes verstorbener Mann, beendete 1977 als letzter seinen Dienst auf der Elbinsel Krautsand. Aber Anne Herzig will am Sonntag an ihrem alten Turm sein und erzählen. Von damals.

1956 hatte ihr Mann, der vor dem Krieg als Koch zur See gefahren war, zunächst am Leuchtturm in Bützfleth bei Stade angefangen. Erst 1955 war er aus russischer Gefangenschaft nach Hause gekommen und hatte die 20 Jahre jüngere Anne aus Hetlingen geheiratet. Drei Kinder bekam das Leuchtturmwärterpaar kurz hintereinander. "Die beiden Jüngsten sind im Turm in Bützfleth geboren worden. Beim Sohn war Hochwasser, bei der Geburt unserer Tochter gab es Glatteis", erzählt Anne Herzig. Sie gehört noch zu denen, die hart im Nehmen waren. Damals war sie mit 1,80 Meter Größe eine stattliche Frau, die zupacken konnte.

Die fünfköpfige Familie wurde dann 1960 nach Krautsand versetzt. Zuerst lebten sie im mittlerweile abgerissenen Turm des Unterfeuers, ab 1966 im kleinen Haus mit Garten neben dem 35 Meter hohen Turm des Oberfeuers.

Im Unterfeuer hatte es auf drei Etagen jeweils nur einen Wohnraum gegeben, darüber lag der Arbeitsbereich, den niemand außer den Wärtern betreten durfte: ein Wachzimmer und der Lampenraum. Für die junge Mutter bedeutete das Leben im Turm ein ständiges Treppauf, Treppab. "Auf jeder Etage den Kohleofen einheizen, das allein war ein paar Stunden Arbeit", erinnert sie.

Der Leuchtturmwärter und seine Frau waren für die planmäßige Wartung von fünf Feuern am linken Elbufer verantwortlich: für das Ober- und Unterfeuer auf Krautsand, für Ober- und Unterfeuer Asseler Sand, für das Feuer an der Einfahrt Wischhafener Sand und noch für das Maschinenhaus mit Dieselaggregat auf einem Bauernhof.

"Damit das Licht immer hell genug leuchtete, mussten wir die Linsen und die Fenster in den Lampenräumen sauber halten. Die Fliegen machten ziemlichen Dreck, und staubig war es auch", erzählt Herzig. "Mein Mann war, was das Putzen anging, sehr püttjerig. Und die Fresnel-Linsen zu reinigen, die ja bestimmt einen Meter hoch waren, das dauerte dann." Auch die 136 Holzstufen der engen Wendeltreppe im Turm sauber zu halten, sei eine ziemliche Plackerei gewesen. Kaputte Glühlampen mussten sie auswechseln, Flüssiggaslampen auffüllen. Überhaupt erforderten die Wartungsarbeiten handwerkliches Geschick. "Wenn alles gut gepflegt war, dann ging es nicht so schnell kaputt." Da hatte Kurt Herzig seinen Ehrgeiz.

Und nichts war lebensgefährlicher in der Schifffahrt, als wenn bei Sturm und Hochwasser das Licht ausfiel. "Bei Sturm war es immer unheimlich, es heulte und der Stahlturm wackelte gewaltig, einen halben Meter Ausschlag konnte der haben." Nicht selten seien dabei die Lampen herausgefallen. Ihr Mann musste in brenzligen Situationen beim Unterfeuer sein, gut einen Kilometer entfernt, während Anne Herzig beim Oberfeuer die Stellung hielt. Beide Feuer zusammen bilden eine Richtfeuerlinie elbabwärts. Manchmal habe sie ihn bei tosendem Orkan mit dem Mofa nach unten gefahren. "Eine Nervenbelastung war das. Hochwasser gab es eigentlich immer nur abends, Gott sei Dank schliefen die Kinder dann meistens."

Leuchttürme wurden gerne auch als Beobachtungsposten für Wetterdienste genutzt. In Krautsand war das nicht der Fall, aber Anne Herzig hat über Jahrzehnte die Pegelstände der Elbe gemeldet, manchmal die Eisdicke, hat einmal im Monat die Trommel mit den Aufzeichnungen von Ebbe und Flut ausgetauscht.

In all den Jahren haben Anne und Kurt Herzig Arbeit und Familie gemeinsam bewältigt. "Mein Mann war am Tag für das Leuchtfeuer zuständig, ich nachts." Für ihre Nachtbereitschaft hat sie in der ersten Zeit 80 Mark im Monat bekommen. Einsam hätten sie sich nicht gefühlt, "aber schon ein bisschen außen vor", sagt die bescheidene alte Dame. "Wenn abends die Sonne unterging, im Winter war das ziemlich früh, dann mussten wir zu Hause sein. Im Ort gemeinsam feiern, das ging gar nicht."

Rund um das kleine Haus am Oberfeuer gleich hinterm Deich hat die Familie einen großen Garten bewirtschaftet. Mit Puten, Hühnern, Schweinen, hat Kartoffeln und Gemüse angebaut, Obstbäume gepflanzt. Als kleiner Angestellter beim Wasser- und Schifffahrtsamt Hamburg war das ein wichtiges Zubrot.

Heute steht der Leuchtturm (1907) unter Denkmalschutz, in dem Haus wohnt Herzigs Tochter. Anne Herzig hat sich nach einem Beckenbruch in eine Wohnung in Drochtersen zurückgezogen. Den Blick auf vorbeifahrende Schiffe und das Rauschen des Wassers vermisst sie da schon sehr.