Windhose traf den Ort Plate bei Schwerin mit 240 km/h. Viele Einwohner hatten frisch renoviert - Millionenschaden.

Plate. Wie schlimm es um sein Haus bestellt war, sah Helmer Petrick (45) zuerst im Fernsehen. Ein Nachrichtensender zeigte seinen erst Ostern fertiggestellten Neubau in Plate, einer 3700-Seelen-Gemeinde südlich von Schwerin. Es war ein Bericht über den verheerenden Tornado, der dort am Himmelfahrtstag gewütet hatte. Petrick selber war mit seiner Frau auf einem Feiertagsausflug in Grömitz. Im Fernsehen erkannte er, dass ein riesiges großes Loch in seinem Dach klaffte und Ziegel in seinem Garten lagen. "Wir wollten am liebsten gar nicht nach Hause fahren."

So wie der Familie Petrick erging es gut 60 weiteren Nachbarn, deren Häuser beschädigt wurden. Am frühen Abend fegte der Tornado mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 240 Kilometern pro Stunde über Plate. Während einige Häuser von der Zerstörungswut verschont blieben, knickten auf Nachbargrundstücken Bäume um, flogen Gartenmöbel durch die Luft, hoben Carports ab und wurden Dächer fast komplett abgedeckt. Wie durch ein Wunder wurde kein Bewohner durch umhergeschleuderte Trümmerteile verletzt. Nach bisherigen Schätzungen liegt der Schaden bei etwa 3,5 Millionen Euro. Rund 100 Helfer der Feuerwehr und des Technischen Hilfsdienstes rückten nach den ersten Notrufen um 18.55 Uhr aus. Bis nach Mitternacht waren sie im Einsatz. Am frühen Freitagmorgen kam sie wieder, um aufzuräumen. Am Tag danach beherrscht das Kreischen von Motorsägen den Ort. Entwurzelte Bäume werden zerkleinert. Dort, wo der Tornado am schlimmsten gewütet hatte, sind bereits die Dachdecker angerückt. Sie werfen Dachziegel in Container, ziehen Planen über die Holzträger. Abgesandte von Handwerksfirmen gehen von Haus zu Haus, verteilen Visitenkarten. Ihre Dienste: Trockenlegungen, Innenausbau und Malerarbeiten. Das Unwetter, was nach Zeugenaussagen nur wenige Minuten dauerte, lockt zum Geschäftemachen. Zu hausieren brauchte Mark Louda (35) von einer Dachdeckerfirma aus dem Umland nicht. "Bei uns klingelt seit halb sechs Uhr morgens das Telefon." Seine Firma arbeitet bereits an zehn der rund 60 zerstörten Häuser in Plate. Sturmschäden an Dächern sind für Louda ein tägliches Geschäft. "Normalerweise sind nur ein paar Ziegel verrutscht. Aber eine Masse von derart vielen abgedeckten Häusern habe ich noch nie erlebt." Es müssen wohl alle zerstörten Dächer in Plate komplett erneuert werden.

Etwa das von Peter Bugdahl (57). Der Schlosser wohnt mit seiner Familie seit zwölf Jahren in Plate. Das Haus hat er seitdem durchgehend renoviert. Seine Holztreppe ist wenige Monate alt, die Einrichtung ebenfalls, die Wände frisch verputzt. "Ich bin gerade erst fertig geworden. Jetzt müssen wir wieder von vorne anfangen", sagt Bugdahl resigniert. Nachdem das halbe Dach weggeflogen war, kam der Regen. Drinnen haben sich die ersten Tapeten von den Wänden gelöst, die neue Treppe ist aufgeweicht, Möbel, Teppiche und Elektrogeräte sind nass.

In Bugdahls Küche sitzt Volker Karpel, der Versicherungsvertreter der Familie. Er hat die Schäden an und im Haus fotografiert und füllt Formulare aus. "Ich gehe davon aus, dass das zügig reguliert wird." Ab Windstärke 8 (etwa 74 Kilometer pro Stunde) übernehmen die Versicherungen die Sturmschäden. Der Tornado von Plate hat nach ersten Schätzungen des Instituts für Wetter- und Klimakommunikation Windgeschwindigkeiten zwischen 180 bis 240 Kilometer pro Stunde gehabt. "Und mit etwa 300 Metern Breite kommt der auch im Mittleren Westen der USA nicht besser vor", sagt Lars Lowinski, Meteorologe am Institut. "Es handelt sich um einen Tornado der Stufe F2." Ein F3-Tornado hätte wahrscheinlich Wände zum Einsturz gebracht. Vermutlich hätte es Tote gegeben.

"Derartige Tornados kommen in Deutschland alle zwei bis drei Jahre vor", erklärt Lowinski. "Mit dem Klimawandel haben die allerdings nichts zu tun. Die wurden schon in den 20er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts beobachtet." Dieser Tornado hat seinen Anfang übrigens im Hamburger Stadtteil Harburg genommen und ist dann bis nach Schwerin gezogen. Ursache sind nicht nur warme Luftschichten in Bodennähe und kalte darüber. Sobald schneller werdender Wind aus verschiedenen Richtungen dazukommt, rotiert die Gewitterwolke und schlägt - wie in Plate - bis auf den Boden durch.