Nach dem Mord an der elfjährigen Lena belagern etwa 50 Menschen eine Wache in Emden. Kriminologe kritisiert Vorführung des Verdächtigen.

Emden. Eine Stadt trauert um Lena. Vor dem Parkhaus in Emden, in dem die Elfjährige am Sonnabend ermordet wurde, werden täglich Hunderte neue Kerzen entzündet, Blumen, Briefe und Kuscheltiere abgelegt. Auch im Internet wird getrauert. Beim sozialen Netzwerk Facebook hat jemand die Seite "Kondolenzbuch für den kleinen EmderEngel!" eingerichtet. Mehr als 9000 Besucher haben hier Trauer, Wut und Beileid ausgedrückt.

Doch es gab auch offene Hassparolen. Sie tauchten erst im Internet auf und wurden schließlich von Passanten aufgegriffen. Als der 17 Jahre alte Verdächtige der Haftrichterin vorgeführt wurde, hörten Augenzeugen Rufe wie "Hängt ihn auf, steinigt ihn".

Ähnliche Szenen spielten sich in der Nacht zum Mittwoch ab, als bis zu 50 Menschen stundenlang das Emder Polizeihaus belagerten. Ein 18-Jähriger hatte zuvor im Internet die Stürmung des Gebäudes gefordert, um den Festgenommenen herauszuholen. "Das war ein Aufruf zur Lynchjustiz", sagt Kriminalrat Martin Lammers. Erst in den Morgenstunden löste sich die aufgebrachte Menge auf.

Die Polizei beklagt, dass Informationen vorschnell im Internet verbreitet werden. Nur Minuten nachdem die Polizei den 17-jährigen Emder Berufsschüler unter dringendem Tatverdacht festgenommen hatte, berichtete ein Zuschauer im Netz darüber. Er nannte dabei Namen und Anschrift des Verdächtigen. Kriminalrat Lammers kündigte an, strafrechtlich gegen den Initiator vorzugehen.

Der Kriminologe Christian Pfeiffer aus Hannover macht dagegen die Emder Polizei für die Aufstände verantwortlich: "Es war ein Fehler, den Tatverdächtigen sensationsheischend mit Handschellen abzuführen und so zu tun, als habe man den Täter." Das Internet könne in solchen Fällen "seine ganze destruktive Wucht entwickeln und dem Volkszorn eine Möglichkeit zur Entfaltung bieten", sagte Pfeiffer.

Der Verdächtige hat sich in Widersprüche verwickelt

Erst in der vergangenen Woche hatten Rechtsextreme versucht, das Haus eines mutmaßlichen Sexualstraftäters in Nordenham bei Oldenburg zu stürmen. Auch hier wurden über das Internet Name und Anschrift verbreitet und zur Tat aufgerufen.

Pfeiffer warnt vor der Eigendynamik der sozialen Netzwerke. Das Internet habe keine Gefühle und urteile nicht nach Gut und Böse. Die sozialen Folgen einer Internet-Hetzjagd seien für Täter, Verdächtige, Nachbarn und Angehörige grausam, sagt Pfeiffer. "Wir kennen das aus den USA. Da werden Menschen und deren Angehörige regelrecht fertiggemacht - ohne dass die Schuldfrage überhaupt geklärt ist."

Das ist sie auch in dem Emder Fall nicht. Es gibt kein Geständnis, aber Indizien. Nach dem Mord an der elfjährigen Lena streitet der 17-Jährige die Tat ab, doch die bisherigen Ermittlungen sprächen gegen ihn, teilte die Polizei mit. Der junge Mann habe für die Tatzeit kein Alibi und habe sich bei der Vernehmung in Widersprüche verstrickt, sagte der Leiter der Mordkommission, Werner Brandt.

Der Verdächtige sitzt seit Mittwoch in Untersuchungshaft, weil er das Mädchen am Sonnabend in einem Parkhaus in der Innenstadt umgebracht haben soll. Der mutmaßliche Täter wollte nach den Worten des Staatsanwalts Bernard Südbeck damit ein Sexualverbrechen verdecken.

Zur Ursache für den Tod des Mädchens machte Brandt keine Angaben. Brandt sagte auch nichts zur Tatwaffe. Die Ermittler hätten aber bei dem Mann Gegenstände sichergestellt.

Der Berufsschüler sitzt in einer Justizvollzugsanstalt. Er war nach dem Hinweis einer Zeugin in der Wohnung seines Vaters festgenommen worden. Dies geschah laut Polizei vor der Veröffentlichung eines Videos aus dem Parkhaus. Mit Spuren vom Tatort könne möglicherweise ein DNA-Abgleich vorgenommen werden. "Wir führen die Ermittlungen aber nach wie vor mit aller Macht in allen Richtungen weiter, nicht nur in Richtung des Tatverdächtigen", sagte Brandt.

Die Beisetzung des Opfers soll auf Wunsch der Angehörigen im engsten Familienkreis stattfinden. Die Familie werde von Beamten an einem besonderen Ort betreut, sagte der Leiter desPolizeikommissariats, Arno Peper.

Lena war am Sonnabend zusammen mit einem gleichaltrigen Freund zum Entenfüttern gefahren. Der Junge werde ebenfalls psychotherapeutisch behandelt, erläuterte Brandt. Der Elfjährige stehe unter Schock und werde von der Polizei zunächst nicht weiter befragt. "Er muss zur Ruhe kommen."