In Tripkau an der Elbe sind 170 von 240 Einwohnern Mitglied im Carneval Club. Am Sonnabend wird in dem Dorf wieder gefeiert.

Tripkau. Der 11. November 1989 war für den Carneval Club Tripkau ein Desaster. Keine 100 Leute verirrten sich in die schmucke Festhalle an der Elbe, um den Beginn der Karnevalsaison zu feiern. Doch an diesem Sonnabend hatten die Menschen anderes zu tun - war doch gerade erst die Mauer gefallen, die das kleine Nest im Amt Neuhaus gegenüber von Hitzacker und dem Wendland vom westlichen Rest Deutschlands getrennt hatte.

Doch der 11. November 1989 blieb ein Ausreißer: Regelmäßig erwarten die norddeutschen Exoten um die 1500 Gäste, wenn sie im nordöstlichsten Zipfel Niedersachsens Karneval feiern. Karneval, nicht Faslam, um im Fachvokabular zu sprechen. Es heißt auch nicht Kostüm, sondern Ornat. Und nicht Saison, sondern Session. Die endet übrigens exakt 40 Tage vor Karfreitag, also mit der christlichen Fastenzeit.

Seit 55 Jahren existiert der Carneval Club Tripkau gelb/weiß. Bei seiner Gründung 1958, am 11. November, lag das Dorf noch in der DDR. Weil die Amerikaner den Landstrich nach dem Zweiten Weltkrieg den Russen überließen. Heute ist er wieder Teil von Niedersachsen wie vor der deutschen Teilung und seit der offiziellen Rückgliederung vor 20 Jahren nach der Wiedervereinigung.

Dass Tripkau stolz darauf ist, zeigt das riesige Niedersachsen-Ross, das die Besucher der Festhalle im Eingang begrüßt. Auch mit der Farbauswahl hatte der Club schon 1958 seiner eigentlichen Heimat gedacht: Gelb-Weiß, analog zum Königreich Hannover.

"Als der Carneval Club gegründet wurde, ging es nicht nur ums Singen und Tanzen", sagt der heutige Präsident Hendrik Stille, 37. "Nicht nur um Kultur und Unterhaltung im Zonenrandgebiet. Es ging vor allem darum, Kritik am Staat zu üben, in Satire versteckt." Die fröhlichen Feiern und politischen Bütten aus Mainz kannten die Gründer in Schwarz-Weiß aus dem Westfernsehen, und die noch recht junge Republik hatte ihre Langohren - Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes - noch nicht überall. "Die Leute haben darauf gewartet", sagt Stille, "das war ein Ventil."

Später mussten die Redner ihre Bütten nach Hagenow schicken, zur Zensur. Und wie jeder gute Autor in einem undemokratischen System lernten die Tripkauer Karnevalisten schnell. Ralf Voß, 44, stellvertretender Schatzmeister des Vereins, erklärt: "Die Kunst lag darin, so zu schreiben, dass die Zensoren nichts damit anfangen konnten."

Heute liegen die Pointen woanders. Und die Probleme auch. War es zu DDR-Zeiten ausgeschlossen, Politiker zu veräppeln, stört das heute niemanden. Störte es zu DDR-Zeiten niemanden, Privatleute zu veräppeln, ziehen die heute gern mal vor Gericht.

"Der gesamte Karneval bewegt sich in Richtung Comedy", sagt der Präsident, "auch in Köln." Das ganze Gerede über Politik könne keiner mehr hören, sagt der Schatzmeister. Und es gibt Themen, über die selbst die Karnevalisten nicht mehr lachen können. Wie die seit 20 Jahren geplante Brücke über die Elbe. Oder die Angst um den Fortbestand der Dorfgrundschule, während ein paar Kilometer stromabwärts 1,4 Millionen Euro für eine Biber-Anlage übrig sind.

Was anderen Dörfern ihr Schützenverein, ist Tripkau sein Carneval Club. "Der Zusammenhalt ist es, um den es geht", sagt Ralf Voß. "Wir sind das Herz von Tripkau, eine große Familie." 240 Menschen zählt der Ort, 170 der Verein. Einige sind längst weggezogen, auf die andere Seite der Elbe - und kommen zum Karneval zurück. Ein Drittel der Mitglieder sind zwischen sieben und 16 Jahre alt, so manch ein Aufnahmeantrag kommt per Fax aus dem Krankenhaus - direkt nach der Geburt.

Was also macht man in Tripkau richtig? Vielleicht sind es die Kostüme, die den jungen Leuten kostenlos gestellt werden. Vielleicht ist es der Vereinsbeitrag, den Kinder und Jugendliche nicht zahlen müssen. Oder der Pragmatismus: Das Prinzenpaar ist seit Ende der 60er-Jahre abgeschafft: zu teuer für die Betroffenen. Vielleicht ist es das Engagement, sind es die gemeinsam mit der Feuerwehr veranstalteten Feste. Oder die Blaskapelle, die bei den Feten Livemusik spielt.

Vielleicht ist es auch eine tiefe Tradition. "Karneval saugt man in Tripkau mit der Muttermilch auf", sagt Präsident Hendrik. "Die Termine gehören zum Leben wie Heiligabend und der eigene Geburtstag." Ein Generationenvertrag sei das, sagt Geschäftsführer Olaf Hengevoß, 43: "In 20 Jahren werden unsere Kinder für uns die Festtage organisieren." Die bekommen jetzt ihren Kinderkarneval, "und später wird der Staffelstab weitergegeben".

Und eines ist den Narren heilig: Kommerz ist beim Karneval tabu. Das ist auch nach 20 Jahren Marktwirtschaft noch so. Der Carneval Club: die festeste Konstante in dem bewegten Elbdorf im einstigen Grenzgebiet.

Am Sonnabend, 2. Februar 2013, 18.30 Uhr lädt der Carneval Club zur 1. Festsitzung. Eintritt: 14 Euro