Radivoj Dragoljevic, Taekwondo-Trainer aus Wilhelmsburg, zerschmettert mit der Faust neun Holzbretter. Simon Lass zeigt im Freestyle Weltklasseleistung.

Horneburg. Es wurde mucksmäuschenstill in der Sporthalle in Horneburg. Selbst die Frauen vom Kaffeestand hatten ihre Kasse dicht gemacht und waren auf die Tribüne geeilt. Ein Mann im gold-weißen Kampfanzug startete in der Sporthalle Hermannstraße in Horneburg beim 1. Nikolaus-Turnier des SV Bliedersdorf im Taekwondo einen Weltrekord-Versuch. Hinter dieser einmaligen Vorführung steckte eine außergewöhnliche Vater-Sohn-Geschichte. "Die hat zwölf wundervolle Jahre gedauert", sagt der Vater Radivoj Dragoljevic. Aber sie fand vor knapp neun Monaten in einem Krankenzimmer der Hamburger Uni-Klinik ihr tragisches Ende, der Sohn starb an einem Gehirntumor. "Rocky Montenegro" steht in goldenen Lettern auf dem weißen Kampfanzug des Mannes, der vor mehr als 40 Jahren in einem Dorf in Montenegro zur Welt gekommen ist.

Hinter sich, an der Hallenwand, hat der Ex-Welt- und Europameister ein großes Bild aufhängen lassen. Darauf ein Junge in Kampfstellung, der seine blaue Jacke mit einem schwarzen Gürtel, dem Meistergurt, festgezurrt hatte. Auf dem Plakat ist "Njegos" gedruckt - so hieß der Sohn von Radivoj Dragoljevic. Der Junge aus Wilhelmsburg hatte sich einen Namen in der Kampfsport-Szene gemacht und war zweimal Vize-Weltmeister.

In der Halle ist inzwischen alles vorbereitet für einen neuen Weltrekord. In der Mitte von zwei Ständern sind kleine Holzbretter aufeinander gestapelt. Neun Stück, insgesamt 16,5 Zentimeter dick. "Hammerfaust, nennt sich dieser Bruchtest", erläutert der Ansager in der Halle. "Beim bestehenden Weltrekord wurden acht Bretter durchgeschlagen. Rocky will jetzt einen neuen wagen." Wenn Bretter und Bauplatten, Dachpfannen und Kokusnüsse mit der bloßen Faust, der Handkante oder dem Unterarm zertrümmert werden, ist das immer ein Spektakel. "Und doch", sagt Radivoj Dragoljevic, "fokussiert sich in einem solchen Bruchtest alles, was unseren Sport ausmacht. Du musst sehr viel üben, um die Technik zu beherrschen. Du musst im Kopf deinen ganzen Willen und Kraft auf diesen einen Augenblick konzentrieren. Und dann musst du den Mut haben, zuzuschlagen. Bedingungslos. Die kleinste Unsicherheit, ein winziges Zögern würde den Versuch scheitern lassen."

Alle Augen in der Halle sind auf den Mann in Weiß und Gold gerichtet. Rocky dreht sich zur Wand, verbeugt sich, mit der Hand auf dem Herzen, vor dem Bild seines Sohnes, verharrt für einen Augenblick. Dann schreitet er auf die Holzbretter zu. Die Faust saust herab. Neun dicke Bretter zerreißen in der Mitte. Die Zuschauer applaudieren dem Vater, der das Mikrofon in die Hand nimmt. "Ich habe diesen Weltrekord zum Gedenken an meinen Sohn aufgestellt. Er hat mir die Kraft dazu gegeben. Denn ich weiß, er schaut auf mich herab und will mich stark sehen."

Die Erinnerung und vor allem die Trainingsarbeit mit den Mädchen und Jungen der Taekwondo-Schule Montenegro in der Honigfabrik in Wilhelmsburg helfen dem Vater, die Leere zu ertragen, die der Tod seines Sohnes bei ihm zurückgelassen hat.

Wenige Minuten zuvor hatten die Taekwondo-Sportler mit ihrer spektakulären "Freestyle-Darbietung" geglänzt. Als Letzter in diesem Wettstreit hatte Simon Lass am Rande der Schaumstoffmatte Aufstellung genommen. Ein 18-Jähriger in einer goldschimmernden Kampfjacke. Schmal und zäh wirkt der Junge und sein Gesicht ist ernst und konzentriert. Plötzlich dröhnt Musik durch die Halle. Simon Lass reißt sich die Jacke vom Leib. Zwei drei schnelle Schritte, sein Körper fliegt hoch in die Luft, dreht sich. Simon landet sicher auf den Füßen, die Hände in Kampfhaltung gestreckt. Der erste Applaus mischt sich mit der Powermusik, die extra in einem Tonstudio für Simon Lass zusammengemixt worden ist.

Immer wieder halten die Besucher den Atem an. Wie hoch der junge Kämpfer durch die Luft wirbelt, Faust und Fußstöße ausführt, Kampfschreie herauspresst und doch sicher auf beiden Beinen zu stehen kommt. Die Darbietung wird von den Kampfrichtern mit Noten von 9,6 und mehr gewürdigt. Das ist Weltklasse-Niveau im olympischen Taekwondo-Sport. "Und dafür trainiert der Junge täglich", sagt Vater Manfred Lass, "und das bereits seit mehr als zehn Jahren."

Manfred Lass hat die Taekwondo-Sparte beim SV Bliedersdorf aufgebaut und bekannt gemacht und vor allem seinen ältesten Sohn Simon zu internationalem Ruhm geführt. Jetzt fesselte der Lokalmatador aus Bliedersdorf und weiter 150 Mitstreiter ihr Publikum mit ihrem Programm.