Aus dem Mädchen in den kurzen weißen Hosen ist eine Trainerin mit weißen Haaren geworden.

Hitzacker. Ein junges Mädchen in kurzer weißer Hose, weißem Hemd, die Fechtmaske vor dem Gesicht, imitiert mitten im Garten einen Stoß mit der Waffe. Mit dieser Momentaufnahme in schwarz-weiss von 1954 beginnt die Festschrift "50 Jahre Fechten" des TSV Hitzacker. Das Jubiläum liegt jetzt auch schon wieder fünf Jahre zurück. Ein anderes Bild in der großen Sporthalle an einem Montagnachmittag: Zur linken ist Jörn Albers bemüht, Hendrik und Mike, zwei achtjährigen Jungen, eine Angriffs- und die entsprechende Abwehrreaktion mit dem Florett beizubringen. Hinter ihm ein Kreis von Kindern, alle in weißen Fechtanzügen, die ihre Waffen mit der Spitze auf den Boden stellen. Ein Klatschen, alle lassen die Waffen los, rennen zur nächsten. Man muss schon geschwind und reaktionsschnell sein, wenn man das nächste, auf der Spitze stehende Florett, mit der Hand auffangen kann, bevor es umkippt. Mitten im Kreis der Mädchen und Jungen eine Frau mit weißem Haar und mit geröteten Wangen. Es ist Gisela Lorenz, das Mädchen mit der kurzen Hose aus dem Garten. 82 Jahre ist sie inzwischen alt und seit 55 Jahren bei den Fechtern in Hitzacker aktiv. Sie wurde schon als "Grande Dame des Fechtsports" geehrt. Da war sie 65 Jahre alt. Ob Silberne Medaille der Stadt Hitzacker oder die Ehrenmedaille in Gold des Niedersächsischen Fechtverbandes, Ehrungen hat sie viele gesammelt. Was aber wirklich zählt, ist ihre Arbeit für und mit den Kindern.

Zwei der kleinen Jungen in der Halle haben sich abgesondert. Sofort ist die 82-Jährige da, holt sie in den Kreis zurück. "Fleißig müsst ihr sein", ermahnt sie die Jungen, "bei mir wird sich nicht gedrückt".

Jörn Albers war sechs Jahre alt, als Gisela Lorenz ihn unter ihre Fittiche nahm und in die Kunst des Fechtens einführte. Heute ist der 43-Jährige, der in einem Industriewerk für Kugellager für die Lehrlingsausbildung verantwortlich ist, selbst Trainer in der Abteilung und sein Sohn trainiert bei Gisela Lorenz. Auch Volker Hardt, der heute die Hitzacker Fechtsport-Abteilung leitet, hat unter der energischen, aber warmherzigen Führung von Gisela Lorenz seine Freude am Fechten gefunden.

Die immer noch so agile Dame ist sozusagen die personifizierte Geschichte des Fechtsports. "In den Nachkriegswirren", erzählt Gisela Lorenz, "wurde bei meinen Eltern in Hitzacker eine Familie Glaser einquartiert. Der Vater, Franz Glaser, hatte als junger Mann gefochten." Dieser Franz Glaser, der später Romane schrieb, die Gisela Lorenz ins Reine tippte, gründete 1954 die Fechtsportabteilung. Und Gisela und ihre Schwester Marlene sowie Wolfgang Glaser, der Sohn des Fechtmeisters, zählten zu den ersten Mitgliedern.

Will man sich ein Bild davon machen, wie eng verbunden die Fechtgemeinschaft in Hitzacker war, muss man Gisela Lorenz nur nach Namen fragen, die in der Meisterchronik der Abteilung verewigt sind.

Wie Roland Heine, Landesmeister mit dem Säbel in der Mannschaft von 1961. "Roland hat Sigrid Peter, eine unserer besten Fechterinnen, geheiratet", sprudelt es sofort aus Gisela Lorenz heraus. "Die beiden sind nach Hannover gezogen und als Rentner nach Hitzacker zurückgekehrt." Oder Jürgen Kaddatz. "Er ist Schneidermeister hier in Hitzacker", erzählt Gisela Lorenz, "einer unserer besten Säbelfechter. Mit Roland Heine, Rainer Linke und Herbert Förster war er 1962 Fünfter bei den deutschen Mannschafts-Meisterschaften. Unser bestes Ergebnis war Platz drei bei einem deutschen Mannschafts-Titelkampf." Das war in den 60er- und 70er-Jahren. "Damals war Fechten noch ein ganz anderer Sport", sagt die Trainerin mit dem weißen Haar. "Durch die Einführung der elektronischen Anzeige ist das Fechten athletischer und hektischer geworden.

Diese ganze Ungeduld unserer Zeit zeigt sich auch in unserem Sport. Es geht nur noch darum, so schnell wie möglich einen Treffer zu setzen."

Zu erleben, wie heute die Töchter und Söhne früherer Schüler Freude am Fechten, an der Geschicklichkeit und Raffinesse finden, das hält Gisela Lorenz seit nun 55 Jahren im aktiven Leben fest