Die Selbsthilfegruppe “Entsorgte Eltern und Großeltern“ demonstriert am Sonnabend Am Sande in Lüneburg für ihr Anliegen.

Lüneburg. Seine zwei Töchter hat Burkhard Röttger in den vergangenen fünf Jahren nie abends ins Bett gebracht, ist nie mit ihnen in den Urlaub gefahren oder hat Weihnachten mit ihnen gefeiert. Mit der Neunjährigen hat ihm ein Gericht den Umgang komplett verboten. Die Fünfjährige darf der gelernte Elektroingenieur aus Lübeck alle zwei Wochen einen Tag lang sehen.

Nachdem die Beziehung zu seiner Frau gescheitert war, brach sie den Kontakt zu ihm komplett ab. Warum, kann der 47-Jährige nur mutmaßen. Er macht das Scheitern der Beziehung und die damit einhergehenden Abgrenzungen der Partner verantwortlich. "Es ist klar und schmerzhaft, dass wir als Paar versagt haben. Aber Eltern sind wir beide immer noch", sagt er.

Anfangs darf Röttger seine Kinder wie verabredet alle zwei Wochen sehen. Dann verhindert die Mutter immer häufiger die Treffen und der gelernte Elektroingenieur wendet sich an das Gericht, um sein Umgangsrecht durchzusetzen. Seitdem bestimmen Termine vor Gericht, beim Jugendamt und bei Beratungseinrichtungen seinen Alltag.

"Da werden mitunter alltagsferne Entscheidungen getroffen, es wurde zum Beispiel festgelegt, dass ich meine Kinder einen Tag in der Woche von 12 bis 17 Uhr unter Begleitung einer Jugendamtsmitarbeiterin sehen könne, also genau in meiner Arbeitszeit."

Die Geschichte von Burkhard Röttger ist kein Einzelfall. In 90 Prozent der Fälle sprechen die Gerichte in Deutschland den Müttern das Sorgerecht für die gemeinsamen Kinder zu. Die Väter bleiben häufig außen vor. Katharina Klees, die früher einmal ein Jugendamt geleitetet hat, bestätigt: "Offenbar gilt immer noch: Kinder sind bei der Mutter am besten aufgehoben. Obwohl längst erwiesen ist, dass Kinder beide Eltern brauchen."

Betroffen sind Menschen aus allen Altersschichten und Berufsgruppen, so wie Dorette Kühn aus Geesthacht und Peter Witkowski aus Lüneburg. Die vierfache Großmutter und der Vater einer Tochter haben sich mit anderen in der Selbsthilfegruppe "Entsorgte Eltern und Großeltern" zusammengeschlossen. Morgen, Sonnabend, 17. September, wollen sie vor dem Kreisjugendamt, Auf dem Michaeliskloster 4, mit einer Demonstration für mehr Kinderrechte auf ihr Anliegen aufmerksam machen.

"Wer seine Kinder nicht sehen kann, leidet nicht nur seelisch, sondern auch körperlich", sagt Peter Witkowski. Herzbeschwerden, Rückenschmerzen, Schlafstörungen - die Liste könnten er und Dorette Kühn beliebig fortsetzen. Auch die Kinder leiden unter der Trennung. "Würde man blaue Flecke sehen, wäre die Sache klar, dann wüsste jeder was zu tun ist. Aber so ist es ja nur die Abwesenheit von einem Elternteil und seiner Familie", sagt Witkowski.

Psychologen haben Menschen untersucht, denen in ihrer Kindheit der Kontakt zu einem Elternteil oder zu anderen nahen Verwandten vorenthalten blieb. Dabei haben sie festgestellt, dass sich das Elternentfremdungssyndrom, kurz PAS, eine dauerhafte Traumatisierung, die bis ins Erwachsenenalter hineinreichen kann, äußert.

Mit Blick auf die Gesundheit der Kinder müsse sich die Behördenpraxis in Deutschland ändern, fordern Kühn und Witkowski. "Die Mitarbeiter des Jugendamts und die Richter müssen psychologisch geschult werden", sagt Dorette Kühn.

Nachholbedarf sehen die Betroffenen auch in der Rechtsprechung. Häufig verfüge derjenige, dem das Sorgerecht zugesprochen wurde, über ein hohes Boykott-Potenzial. Mitunter würden so auf dem Rücken der Kinder Konflikte der Eltern ausgetragen, zum Schaden aller Beteiligten.

Einen möglichen Ausweg aus dem Kampf um die Kinder bietet das sogenannte Cochemer Modell, das in den 90er-Jahren in Süddeutschland entwickelt wurde.

Kern des Modells ist, dass beide Eltern die Bindung zum Kind behalten. Dabei sollen Psychologen, Beratungsstellen und Anwälte den Gesprächsprozess moderieren. Erst, wenn eine für beide Seiten akzeptable Lösung gefunden ist, ist das Verfahren abgeschlossen. Mittlerweile findet das Modell deutschlandweit Anwendung. Ein Sprecher des Amtsgerichts Lüneburg bestätigt: "Wir titulieren das nicht so, aber in der Praxis versuchen wir den Ausgleich zwischen beiden Seiten zu finden".

Burkhard Röttger will den Kampf um seine Kinder nicht aufgeben. Auch wenn seine ältere Tochter momentan den Kontakt zu ihm ablehnt. "Ich möchte für sie da sein. Sie sollen ein gutes Vaterbild bekommen", sagt er. Zu der Demonstration in Lüneburg wird er nicht kommen: Die Stunden, in denen er mit seiner kleinen Tochter auf seinem Bauernhof spielen kann, sind zu kostbar.

Kontakt zu der Selbsthilfegruppe "Entsorgte Eltern und Großeltern": Dorette Kühn ist telefonisch unter: 04152/34 20 erreichbar.

www.entsorgte-eltern-und-grosseltern.de