Imker vermuten eine falschen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln als Ursache für den Tod von 66 Völkern. Hitze steigert die Gefahr noch.

Reinstorf. Als Markus Poensgen auf dem Grundstück eines Imkerkollegen in Reinstorf ankam, war das Massensterben der Bienen schon seit ein paar Tage in vollem Gange. "Der Fußweg und Teile des Rasens waren übersät mit toten Tieren", sagt Poensgen, Vorstandsmitglied im Kreisimkerverein Lüneburg. Die noch lebenden Bienen seien orientierungslos und fluguntauglich gewesen, krabbelten nur noch auf dem Boden herum. "Sie waren aggressiv und setzen zu Stechattacken auf Menschen an. Das ist kein normales Verhalten." Bei dem Drama verendeten viele zehntausend Bienen, insgesamt wurden 66 Stöcke des Imkers aus Reinstorf vernichtet.

Die Ursache für das Massensterben ist noch nicht bekannt. Doch Poensgen hat einen Verdacht. "Wir müssen von dem unsachgemäßen Umgang mit Pflanzenschutzmitteln ausgehen." Dieses Phänomen ist Poensgen keineswegs neu. Im Gegenteil: Er ist im Vorstand des Kreisimkervereins der Experte für die Behandlung von Pflanzenschutzschäden bei Bienen. Imker rufen ihn, wenn die Tiere massenhaft sterben, um das Phänomen zu dokumentieren und untersuchen zu lassen.

Er sagt, dass es alleine im Landkreis Lüneburg im vorigen Jahr neun Vergiftungsfälle durch Pflanzenschutzmittel gegeben habe, denen insgesamt 80 Bienenvölker zum Opfer gefallen seien. "In diesem Jahr gibt es bisher nur den Fall in Reinstorf."

Der Bienentod durch Pflanzenschutzmittel sei eine schleichende Geschichte, die seit Jahren laufe, sagt Imker Gustav Helms aus Embsen, der ebenfalls dem Kreisvorstand angehört. "Seit 2003 haben wir keine Ruhe mehr." Er behauptet, in der Landwirtschaft würden nach wie vor Gifte eingesetzt, die da nicht hingehörten, und etwa in anderen Ländern wie Frankreich schon seit Jahren verboten seien. Zudem kämen die Verursacher des Bienensterbens oft um eine Verurteilung für ihr Verhalten durch die Gerichte herum.

Die aktuelle Hitzeperiode trage dazu bei, dass gerade jetzt die Gefahr des Massensterbens besonders hoch sei, so Experte Poensgen. Das liege daran, dass Kartoffeläcker eine der letzten Nahrungsquelle für die Bienen in dieser Jahreszeit seien.

Während andere Pflanzen bei Trockenheit keinen Nektar mehr hergeben, lockten Windenknöterich und Blattläuse die Bienen auf die Kartoffeläcker. Der Knöterich liefere Nahrung, die Läuse saugten den Saft aus den Kartoffelblättern und geben überschüssige Flüssigkeit als so genannten Honigtau wieder ab. Die Bienen sammeln diese Flüssigkeit dann ein. Und wenn die Kartoffelpflanzen nicht korrekt mit Schutzmitteln besprüht wurden, führt das zum verheerenden Massensterben wie jetzt in Reinsdorf.

Ob letztlich das unsachgemäße Ausbringen des Giftes das Bienen-Drama in Reinstorf ausgelöst hat, und welche Mittel gegebenenfalls eingesetzt wurden, stehe allerdings frühestens in einem Jahr fest, so Poensgen. "Wir haben Proben von den toten Bienen und den Pflanzen gezogen, die auf den Äckern rund um die ausgerotteten Bienenstöcke wachsen, und an Labore zur Analyse geschickt."

Die Untersuchungen laufen seinen Worten zufolge am Bieneninstitut in Celle und an einem Institut in Braunschweig, das auf die Analyse von Schutzmittel-Rückständen in Bienen- und Pflanzenproben spezialisiert ist. "Es gibt eine biologische und eine chemische Untersuchung. Das Ergebnis der biologischen Tests liegt in bereits drei Wochen vor. Daraus können die ersten Rückschlüsse abgleitet werden. Die chemische Probe dauert ein Jahr." Für die spätere Beweisführung sei eine Anzeige gegen Unbekannt wegen Sachbeschädigung bei der Polizei erstattet worden.

Poensgen schätzt, dass dem Imker in Reinstorf ein Schaden von bis zu 10 000 Euro entstanden sei. "Vielleicht kann er noch Schadensbegrenzung betreiben und ein Teil seines Bienenbestandes retten."

Rainer Rodenwald, ehemaliger Kreisvorsitzender der Imker, glaubt, dass der Schaden noch viel höher sein könnte. Er hält bis zu 20 000 Euro für möglich. "Das wäre existenzgefährdend", so Rodenwald. Doch nicht nur ein wirtschaftlicher Schaden sei für den Imker entstanden, weil die Honigernte zunichte gemacht wurde. Auch die Natur leide unter dem Verlust von 66 Völkern. "Weil die Bienen Wild- und Kulturpflanzen für die Vermehrung bestäuben und außerdem wichtige Indikatoren für Umweltschäden sind, sie sofort und sensibel reagieren." Er sagt, das Massensterben in Reinstorf sei nur die Spitze eines Eisberges, denn auch in diesem Fall seien die Bienen Indikatoren: "Andere Verstöße beim Umgang mit Pflanzenschutzmitteln, bei denen keine Bienen sterben, kommen gar nicht erst an die Oberfläche."