Kursus der Volkshochschule kommt im Stadtteil Kaltenmoor sehr gut an und stärkt spürbar das Selbstbewusstsein der Frauen

Lüneburg. Sonderlich einladend sieht das Haus Nr. 3 in der Graf-von-Moltke-Straße nicht aus. Der Türgriff ist zerbrochen, eine Fensterscheibe wird notdürftig von Klebeband zusammengehalten. Der ganze Eingangsbereich des rot geklinkerten Hochhauses mitten in Kaltenmoor wirkt düster und bedrückend. Sieben Stockwerke höher ist die Atmosphäre eine ganz andere. Da ist der Blick aus dem Fenster viel freier und im freundlich gestrichenen, hellen Zimmer sitzt ein Dutzend Frauen und nascht Gänseblümchen.

Doch so entspannt die Stimmung auch ist: Zum Spaß sind die Migrantinnen nicht hier. Drei Mal wöchentlich kommen die Frauen, die aus Marokko, dem Irak, Syrien, Thailand, der Türkei, dem Libanon, Vietnam, Brasilien, Kasachstan und der Ukraine stammen, in die Kaltenmoorer Schulungsräume der Volkshochschule (Vhs) Region Lüneburg. In einem anderthalb Jahre dauernden Kursus verbessern sie nicht nur ihr Deutsch, sondern werden auch darauf vorbereitet, Senioren zu pflegen und zu begleiten. Eingeschränkte Pflege nennt sich diese Ausbildung, damit sie sich nicht nur inhaltlich, sondern auch vom Begriff her von der Ausbildung zur Altenpflegerin, die drei Jahre dauert, unterscheidet.

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Zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen machen die arbeitslosen Frauen einen großen Schritt in Richtung Berufstätigkeit, zum anderen gibt es dringend benötigten Nachwuchs im Bereich der Altenpflege. "Die ersten Einwanderer kommen so langsam in das Alter, wo sie ins Heim müssen. Es ist ein großer Vorteil, dann Pflegepersonal mit Migrationshintergrund zu haben", sagt Stefan Baumann, der als Leiter des Vhs-Projektmanagements diesen Kurs mit entwickelt hat.

"Pflege und Alltagsbetreuung durch Migrantinnen" heißt die Ausbildung mit vollem Namen. Sie ist eines von zwei Teilprojekten des dreijährigen Programms "Arbeit in Kaltenmoor", das die Vhs Region Lüneburg zusammen mit der Arbeiterwohlfahrt (AWO) auf die Beine gestellt hat. Zweites Projekt ist das von der AWO geführte kulturelle Zentrum "kaffee.haus".

Seit vielen Jahren sei die Vhs bemüht, Kompetenzen nach Kaltenmoor zu bringen, sagt Baumann - dazu gehörten beispielsweise Deutsch- und Integrationskurse. Als das Bundesprogramm Biwaq (Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier) in eine neue Förderphase gegangen sei, habe er gemeinsam mit den Vhs-Dozentinnen Andrea Bartsch und Ulrike Heutelbeck sowie einem Vertreter des Instituts für Weiterbildung in der Alten- und Krankenpflege (IWK) ein förderwürdiges Konzept erarbeitet. "Mit diesem Kurs fließt unsere jahrelange Arbeit zusammen", freut sich Baumann, "von der Alphabetisierung und dem Erlernen der deutschen Sprache sind wir über die soziale auf der beruflichen Schiene angekommen. Das ist wie eine Kette, nichts versackt." Der nächste Schritt sei, die Frauen bei der Suche nach einer regulären (Altenpflege-)Ausbildung zu begleiten, die auf die bereits erworbenen Fähigkeiten aufbaut.

Interesse ist bei den Migrantinnen vorhanden. "Manche sind ganz wild darauf", sagt Kursleiterin Andrea Bartsch. Zum Bespiel die 30-jährige Rabah Shamonn. "Ich kann mir sehr gut vorstellen. in der Altenpflege zu arbeiten. Ich möchte unbedingt eine richtige Ausbildung machen!", sagt die gebürtige Syrierin, die sei neun Jahren in Lüneburg lebt.

Eine gute Basis wird die dreifache Mutter dafür haben. Der Unterricht ist in Module - Fachdeutsch, Kinästhetik, Erste Hilfe, Grundlagen der Pflege - aufgebaut und wird von verschiedenen Fachdozenten gehalten. Am Ende des Kurses sollen ein Praktikum die Teilnehmerinnen auf die berufliche Tätigkeit vorbereiten. "Die Alte Stadtgärtnerei hat mehrere Praktikumsplätze zugesagt, und wir haben auch Kontakt zu ambulanten Pflegediensten", so Bartsch.

Vorher müssen die zwölf Frauen aber noch eine Menge lernen. Zum Bespiel, wie die Verdauung funktioniert - schließlich haben gerade ältere Menschen hier öfter Probleme. "Die meisten hatten keinen Chemie-Unterricht. Dann zu erklären, was da passiert, finde ich schwierig", sagt Bartsch. Damit die Frauen verstehen, was es mit Molekülen und Stoffumwandlung auf sich hat, setzt sie unter anderem auf Selbsterfahrung. "Wir haben heute beispielsweise ein Stück Fleisch in Cola gelegt und Schwarzbrot so lange gekaut, bis es süß schmeckte."

Diese Art Unterricht kommt an. Engagiert und interessiert diskutieren die Frauen, man merkt: Sie wollen wirklich etwas lernen. Und zwar nicht nur reines Wissen. "Es geht bei diesem Projekt nicht nur um die Vorbereitung auf Tätigkeiten in der Altenpflege. Es sollen grundsätzlich Kompetenzen errungen werden, die der ganzen Familie zugute kommen", erläutert Kursleiterin Andrea Bartsch.

So könnten die Mütter ihr neues Wissen in Sachen Ernährung, Gesundheit und Pflege auch zuhause anwenden. Es wirke sich positiv aus, wenn die Mutter nicht nur am Herd steht, sondern eine Berufstätigkeit anstrebt. Und: "Das macht es auch für die Töchter einfacher, wenn die Mütter ein anderes Selbstverständnis entwickeln." Und den Söhnen, fügt ihre Kollegin hinzu, schade es auch nicht.

Schon jetzt, nach einem halben Jahr, bemerken die Kursleiterinnen, dass die Frauen selbstbewusster und auch offener auftreten. "Normalerweise bleiben die verschiedenen Nationen lieber unter sich", sagt Ulrike Heutelbeck. "Hier entwickeln sich interkulturelle Freundschaften, das ist schon etwas Besonderes." So habe beispielsweise eine muslimische Kurdin eine christliche Syrerin kürzlich zum Grillen eingeladen. Ulrike Heutelbeck: "Wenn die ganze Welt so wäre, dass die verschiedenen Kulturen so gut miteinander klar kommen wie hier, dann wäre das schön."

Und es spricht sich herum, dass das Projekt tolle Chancen bietet. "Wir haben schon jetzt eine Warteliste für den zweiten Kurs, der im kommenden April starten wird", sagt Projektmanager Stefan Baumann. Interessierte Frauen mit Migrationshintergrund aus Kaltenmoor können sich bei Andrea Bartsch und Ulrike Heutelbeck unter den Telefonnummer 04131/789361 oder 04131/1566112 informieren.