Das kommunales Netzwerk unterstützt Eltern ab dem Wochenbett bei der Pflege und Erziehung ihrer Kinder. So sollen die Kinder geschützt werden.

Lüneburg. Sieben Monate alt war das kleine Mädchen, das im vergangenen Jahr in Lüneburg so stark geschüttelt wurde, dass es an den Folgen starb. Die offenbar überforderten Eltern hatten keine Hilfe gesucht. Dabei soll es Kindern in Lüneburg gut gehen und das vom ersten Moment ihres Leben an.

Damit das auch dort gelingt, wo Mütter und Väter nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen, gibt es in Stadt und Landkreis das kommunale Netzwerk. Das verzahnt seit 2007 Ärzte, Hebammen, Pädagogen und alle, die mit Schwangeren und Kleinstkindern zu tun haben, aber auch Ämter, Polizei und Justiz. Ziel ist es, "den Dialog der Beteiligten um Mutter und Kind stärker zu fördern, um Kleinstkinder wirksamer als bisher vor Vernachlässigung, Gefährdung und Misshandlung zu schützen", sagt Brigitte Rieckmann.

Gemeinsam mit ihrem Kollegen Burkhard Hoferichter leitet sie die Koordinierungsstelle für das Netzwerk "Frühe Hilfen". "Bei uns kommen die Professionen zusammen", sagt Hoferichter. Diese Woche hatten Koordinierungsstelle und Gesundheitsamt zu einem Informationsaustausch in das Klinikum der Hansestadt eingeladen.

2010 hatte die Lüneburger Klinik für Kinder- und Jugendmedizin 17 Mal Kontakt zum Jugendamt oder dem Netzwerk "Frühe Hilfen". 13 Kontakte zählte Chefarzt Professor Josef Sonntag im zurückliegenden Jahr. Der Mediziner schildert einige exemplarische Fälle: "Im Alter von zehn Tagen wurde ein Säugling wegen einer Infektion eingeliefert. Das Kind war in einem schlechten Zustand, ungewaschen, der Nabel schmierig. In einem Gespräch mit der Mutter stellte sich heraus, dass sie mit noch zwei weiteren Kindern zu Hause überfordert war. Zur Unterstützung konnte ein Familienhebamme organisiert werden."

In weiteren Fällen berichtet Sonntag von Neugeborenen mit Drogenentzugsyndromen und einer Mutter, die ihr Kind aufgrund unbehandelter Depressionen vernachlässigte. "Vernachlässigung tritt oftmals ein, wenn Armut herrscht, Schreikinder oder Mehrlingsgeburten die Eltern belasten und minderjährige Schwangere schlicht überfordert sind", so Sonntag.

Basis des Netzwerks ist das Lüneburger Ampelmodell. An ihm lassen sich Warnsignale riskanter kindlicher Entwicklungen früh erkennen. Sind die Familienverhältnisse stabil und beide Eltern kümmern sich liebevoll um das Kind, steht die Ampel auf Grün.

Fehlt der Vater und ein gutes Netzwerk aus Familie, Freunden oder Nachbarn, oder ist bekannt, dass die Mutter Drogen konsumiert, springt die Ampel über Gelb auf Rot um. Zeigt die Ampel Gelb, kommen die "Frühen Hilfen" zum Einsatz. Ist das Kindeswohl gefährdet, muss das Jugendamt informiert werden.

Dieses Frühwarnsystem dient nicht allein dem Schutz der Kinder. Registriert der Hausarzt beispielsweise Misshandlungen an seiner Patientin, kann er sofort eingreifen und Vorschläge machen, damit im schlimmsten Fall nicht auch Kinder in der Familie zu Schaden kommen. Werdende Mütter sind heute nur noch wenige Tage zur Entbindung im Krankenhaus. Doch schon im Wochenbett sollen Hinweise auf soziale und gesundheitliche Risikosituationen vom Klinikpersonal aufmerksam registriert werden. "Noch nie haben Schwangere uns bisher um Hilfe gebeten", sagt Franziska Szuba, Assistenzärztin am Lüneburger Klinikum. Allerdings sei das Zeitfenster, um mit den Patienten ins Gespräch zu kommen, ein sehr kleines. Szuba: "Wir haben einen bürokratischen Ablauf auf der Station, der nur wenig Flexibilität zulässt."

Bekannt in der Frauenklinik sind die "Frühen Hilfen", jedoch vermisst das Ärzteteam um Chefarzt Professor Peter Dall einen zuverlässigen Ansprechpartner. "Wir möchten rund um die Uhr jemanden, der die Hilfsangebote koordiniert, erreichen können und wünschen uns eine Rückmeldung in den Fällen, wenn wir das Jugendamt oder den Sozialendienst informiert haben." Mitarbeiter des Krankenhaus-Sozialdienstes beraten Patienten bei aktuellen persönlichen und sozialen Problemen, die im Zusammenhang mit deren Erkrankung stehen.

Die Oberärztin der Geburtshilfe, Annette Luths spricht ein generelles Problem an. "Mir fällt auf, dass Hilfe negativ besetzt ist. An diesem Image müssen wir alle dringend arbeiten. Junge Mütter und alle, die Hilfe benötigen, sollten um ihren Anspruch wissen, Hilfe vom Jugendamt einfordern zu können. Das ist der bessere Weg, als jemanden etwas überzustülpen."

"Ja, das Jugendamt muss sein Image verbessern", bestätigt Marlis Otte als Leiterin des Jugendamts der Stadt Lüneburg. Unterstützung erwartet sie auch von Ärzten und Krankenhausmitarbeitern. "Wenn Sie positiv von uns sprechen, dann kommt es auch bei den Patienten zu einem anderen Eindruck", sagt die Amtleiterin. "Umso wichtiger, dass Angebote wie die 'Frühen Hilfen' offeriert werden", fordert Professor Dall. Dafür brauche es mehr Öffentlichkeit. Die Begrüßung "Guten Tag, ich komme vom Netzwerk Frühe Hilfen müsse zur Normalität werden, wenn Unterstützung benötigt werde.

Drei Jahre besaß das Netzwerk einen Modellstatus in der Region und wurde vom Niedersächsischen Sozialministerium gefördert. Seit 2009 wird es von Stadt und Landkreis finanziert. Zum Netzwerk gehört auch der Lüneburger Kinderarzt Andreas Kozial. Als Obmann des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte und Mitglied im Beirat der "Frühen Hilfen" hat er eine zentrale Position inne. "Ich trage das Projekt in die Praxen hinein. Mittlerweile ist jede Kinderarzt-Praxis Mitglied im Netzwerk", sagt der 52-Jährige.

Seit zwölf Jahren praktiziert Kozial in Lüneburg. Er weiß, dass belastete Mütter bevorzugt bei Kinderärzten und Hebammen Hilfe suchen. "Hebammen, besonders Familienhebammen, haben den besten Einblick in Familien und sind ihnen am nächsten. Sie erkennen schnell, wenn etwas nicht in Ordnung ist", sagt Kozial. Sein Anspruch an das Netzwerk: Schnelle, individuelle und unkomplizierte Hilfe zu leisten.

Die Teilnehmer des Netzwerks kommunizieren untereinander telefonisch und per E-Mail. In Arztpraxen und bei Beratungsstellen liegen Fragebögen für Eltern aus, die sich mit den Anforderungen des Alltags überfordert fühlen. Egal, ob in der Schwangerschaft, bei Krankheit des Kindes oder eines Elternteils, in jeder Lebenslage können sie die verschiedenen Angebote des Netzwerkes in Anspruch nehmen. Sie müssen lediglich um Hilfe bitten.