Kemal G.* ist sich keiner Schuld bewusst. Der Unternehmer muss sich vor dem Amtsgericht Lüneburg wegen Körperverletzung verantworten. Der Mittfünfziger im eleganten grauen Anzug lehnt sich zurück und weist alle Vorwürfe von sich. "Ich soll Abdul M.* geschlagen haben? Das ist nicht wahr."

Was zunächst wie ein aus dem Ruder gelaufener Streit anmutet, entwickelt sich zur Räuberpistole. Die Hintergründe der Tat sind verworren.

So viel ist klar: Opfer und Täter kennen sich flüchtig. Als der Besitzer eines Lüneburger Wettbüros in die Flitterwochen fliegt, soll ihn Mehmet S.* vertreten. Weil der 38-Jährige, der, wie er sagt, "im Automatenbereich aktiv" ist, in Hamburg viel zu tun hat, fragt er das spätere Opfer Abdul M., ob er in Lüneburg aushelfen könne. Der 25-Jährige sagt zu.

Als er den dritten Tag in der Wettstube arbeitet, erhält Mehmet S. gegen 23 Uhr einen Anruf, dass auf die Lüneburger Filiale ein Raubüberfall verübt wurde. Er erzählt seinem Nachbar Kemal G. davon und die beiden Männer machen sich sofort auf den Weg nach Lüneburg. Im Wettbüro angekommen, erfahren sie, dass Abdul M. mit einem Schock ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Sie holen den jungen Mann aus der Klinik ab und fahren mit ihm zurück zum Wettbüro. Darüber, was auf dieser Fahrt geschah, gibt es verschiedene Versionen.

"Im Wagen habe ich gleich in der ersten Kurve eine Faust ins Gesicht kassiert", sagt Abdul M. vor dem Gericht. Kemal G. habe auf ihn eingeschlagen, ihn durchsucht und etwa 80 Euro abgenommen. Als die Männer vor dem Wettbüro aussteigen, nutzt der junge Mann die Gelegenheit zur Flucht. Kemal G. dagegen behauptet: "Im Auto hat Abdul zugegeben, dass es gar keinen Überfall gab. Aber geschlagen habe ich ihn nicht."

Unklar bleibt, warum Kemal G., der angibt, keinerlei finanzielles oder geschäftliches Interesse an dem Lüneburger Wettbüro zu haben, seine Gäste verlässt, um nach Lüneburg zu fahren. Ebenso wenig lässt sich aufklären, warum die Wetteinsätze an den Tagen, an denen Abdul M. in dem Wettbüro arbeitet, höher sind, als sonst innerhalb eines Monats. Auch, ob der Überfall stattfand, weiß bis heute niemand genau.

Überführt wird Kemal G. schließlich durch die Aussage eines Polizisten, den Abdul M., der sich auf der Flucht verängstigt hinter einer Bushaltestelle in der Innenstadt versteckte, gerufen hat. Der Beamte hatte zwar "keine blutenden Wunden, aber Schwellungen und leichte Prellungen im Gesicht" des 25-Jährigen festgestellt. Der Richter ist überzeugt, dass Kemal G. Abdul M. geschlagen hat und verurteilt den Angeklagten zu einer Geldstrafe von 1200 Euro.

(* Namen geändert)