In der St. Nicolaikirche finden sich einstige Grabplatten als Baumaterial. Diese Art Recycling ist nicht selten.

Lüneburg. Deutlich ist noch die Inschrift zu lesen. "Mariae" ist dort in Stein gehauen, dann das Familienwappen und ein weiterer Name: "Walther". Ob das nun der Nachname der Verstorbenen war oder der Vorname ihres ebenfalls verstorbenen Mannes bleibt unklar.

Eckhard Oldenburg ist einigermaßen überrascht. Zwar sind Grabsteine auch in Kirchen, wie in seiner St. Nicolaikirche, zu finden, doch von diesem Grabstein unter dem Treppenabsatz im Aufgang zur Orgelempore hat er bis jetzt nichts gewusst. Und es ist nicht der einzige. Auch am Südeingang der St. Nicolaikirche wurden Grabsteine als Ersatz für fehlende Treppenstufen verbaut.

"In den Gotteshäusern hat man früher auch Menschen beigesetzt. Dass ist heute allerdings nicht mehr üblich", so Oldenburg. Die Grabsteine seien aber teilweise trotzdem noch da. Jedoch nicht als Bestandteil von Treppen.

Steinmetzmeister Holger Dörries, dessen Familie seit 300 Jahren in dem Gewerbe in Lüneburg tätig ist, wundert sich über das "Recycling" nicht: "Die alten Grabsteine wurden früher aus Sandstein gefertigt. Der kam nicht von hier und war entsprechend teuer." So habe man das Material nach seiner eigentlichen Bestimmung eben auch anderweitig verwendet. Außerdem sei das Material extrem stabil und dementsprechend langlebig.

Die St. Nicolaikirche im Wasserviertel der Stadt Lüneburg wurde zwischen 1406 und 1587 errichtet. Sie ist eine dreischiffige Backstein-Basilika mit Seitenkapellen und Emporen, die fast die Höhe der Seitenschiffe erreichen. Wie die Grabsteine in die Kirche gekommen sind, erklärt Bauhistoriker Hansjörg Rümelin, der die Geschichte von St. Nicolai in seinem Buch "St. Nicolai in Lüneburg - Bauen in einer Norddeutschen Hansestadt" aufgezeichnet hat. "Für St. Nicolai gab es im Laufe der Jahrhunderte zwei große Instandsetzungsphasen. Einmal zwischen 1844 und 1864, als Stadtbaumeister Heinrich Holste den unteren Bereich der Basilika von außen restaurieren ließ. In dieser Zeit müssten die Grabsteine an der Südseite als Treppenstufen dazu gekommen sein." Eine weitere Instandsetzung habe es direkt danach bis 1872 gegeben. Da sei ein Innenausbau durch Conrad Wilhelm Hase erfolgt. "Im Zuge dessen wurden auch Teile des Treppenturms erneuert", so Rümelin, der in Lüneburg aufgewachsen ist und heute in Hannover lebt. "Alte Grabsteine wurden früher nie entsorgt. Immer dienten die Natursteinplatten nach ihrer eigentlichen Bestimmung als Baumaterial", sagt der 50-Jährige.

Dass in seiner Kirche ehemalige Grabsteine als Trittsteine für Treppenstufen zweckentfremdet werden, findet Pastor Eckhard Oldenburg nicht schlimm. "Das hat auch was mit dem christlichen Glauben zu tun. Denn das Christentum ist keine Religion, in der der Tod ein so starkes Eigengewicht hat. Vielmehr ist es die Auferstehung, denn der Tod ist keine Endstation, sondern ein Übergang." Deshalb spielten auch Grabsteine eine eher untergeordnete Rolle. Alles habe seine Zeit, die Steine seien nur so lange von Bedeutung, wie es für die Angehörigen wichtig ist.

Eckhard Oldenburg selbst möchte Grabsteine allerdings nicht auf irgendwelchen Straßen als einfaches Baumaterial sehen. In Kirchen sei das was ganz anderes: "Schließlich sind sie nicht irgendwas."