Er galt vielen als “Richter Gnadenlos“. Rolf Fuhlendorf sagt: “Ich war kein Schill, aber bei mir wurden keine Streicheleinheiten verteilt.“

Winsen. Die Referendarin der Staatsanwaltschaft Lüneburg war ein wenig aufgeregt und rief den Richter an: "Wie läuft das am Donnerstag?" Amtsrichter Rolf Fuhlendorf (64) beugte sich in seinem Amtszimmer über sein weißes Telefon aus den 80er-Jahren und sagte mit väterlicher Stimme: "Kommen Sie 20 Minuten vor der Verhandlung in mein Büro, und ich sage Ihnen, was nicht in den Akten steht. Dann werde ich noch zehn Minuten als Psychotherapeut wirken, damit Sie entspannt in die Sitzung gehen können."

So war er, der Amtsrichter Fuhlendorf, den im Winsener Schloss alle "Fuhli" nannten. Er traf sich mit den Staatsanwälten und Referendaren oft vor der Sitzung, "wir sagten 'Guten Tag!' und redeten etwas Privates". "Fuhli pflegte intensiv das offene Gespräch mit Staatsanwälten und Verteidigern", bestätigt sein Vorgesetzter Albert Paulisch, "und hat damit nicht selten zeit- und kostenaufwändige Prozesse vermieden."

"Fuhli" war ein Freund des "Rechtsgesprächs" mit Staatsanwalt und Anwalt in seinem Dienstzimmer. Dort saß das Trio dann unter 3,70 Meter hohen Decken, umgeben von einer Wandholzvertäfelung aus Fichtenholz und Prägetapeten, und "dealte" einen gemeinsamen Nenner aus, mit dem alle Beteiligten leben konnten - "ohne dass dabei die 'Preise' gesunken wären", wie Albert Paulisch sagt. "Im Gegenteil: Wer vor den Richtertisch von Herrn Fuhlendorf trat, musste auf deutliche Entscheidungen gefasst sein. Manche Straftäter, gerade solche aus der nahen Großstadt, waren über die persönliche, aber klare Sprache und die klaren Entscheidungen hier erstaunt."

Jetzt geht in den Ruhestand, der Richter Fuhlendorf - nach 30 Jahren als Strafrichter in Winsen. Rund 10 000 Strafsachen hat er in seiner Zeit bearbeitet, 300 bis 400 im Jahr. "Richter Gnadenlos" möchte er trotz seiner zuweilen harten Urteile nicht genannt werden. "Ein Ronald Barnabas Schill bin ich nie gewesen", sagt Fuhlendorf. "Ich habe durchaus mal zugelangt - bei mir wurden keine Streicheleinheiten verteilt."

"Fuhli" beschreibt seine Haltung so: "Ein Strafrichter spricht Urteile im Namen des Volkes. Man muss sich davor hüten, Stammtischurteile zu fällen. Ein billig und gerecht denkender Bürger muss meine Urteile verstehen und nachvollziehen können."

Viele "Fuhli"-Urteile hat das Landgericht Lüneburg aufgehoben. Freigesprochen wurden dort nur wenige Verurteilte; meist stellten die Lüneburger Richter die Verfahren ein oder wandelten Haft- in Bewährungsstrafen um.

Auf den beruflichen Geschmack gekommen war Rolf Fuhlendorf während eines Rechtskunde-Kursus am Matthias-Claudius-Gymnasium in Hamburg-Wandsbek, das er "ein Jahr länger als vorgeschrieben" besuchte. Ein Langarbeiter war er nicht: "Bei der Stundenzahl an Arbeit lag ich bei den Kollegen wohl an der unteren Grenze", sagt "Fuhli", "aber das habe ich wettgemacht durch konzentriertes Arbeiten. Mein Credo war stets, mit einem Minimum an Aufwand ein Maximum an Erfolg zu erzielen."

So pflegte "Fuhli" nur montags, dienstags und donnerstags mit seinem elf Jahre alten Mittelklassewagen von Hamburg-Marienthal nach Winsen zu fahren. An den anderen beiden Tagen wirkte der Richter daheim in seinem 1938 von seinem Vater, einem Architekten, erbauten Rotklinkerhaus. "Jeder Anwalt kannte meine Privatnummer."

"Fuhli" bezeichnet sich selbst als "Junggeselle". Geheiratet hat er nie, "meine Freiheit schätze ich am meisten". Bis zum 50. Lebensjahr hat der Richter gemeinsam mit seiner Mutter in seinem 13-Zimmer-Haus gelebt. "Meine Mutter und mein älterer Bruder haben mich am meisten geprägt. Mein Vater ist gestorben, als ich zwölfeinhalb war."

In seiner Freizeit erfreut sich "Fuhli" seines Golden Retrievers Don Junior, seiner rund 8000 antiquarischen Bücher, die liebsten aus der Goethe-Zeit, und der Rockmusik von Grateful Dead, Eric Clapton und Jefferson Airplane. Seine liebsten Reiseziele sind der Süden Frankreichs und die portugiesische Algarve - seine Hunde waren immer dabei.

Mit Sport hielt "Fuhli" es wie der legendäre Winston Churchill: "No sports". Dafür raucht er Zigarillos und Pfeife, am liebsten in den Fürst-Pückler-Parks Bad Muskau und Branitz. Sein letztes Urteil galt gestern vier polnischen Dieben. Die Strafmaße: 15 Monate Haft für einen und je 18 Monate Haft für drei Ganoven. Alles ohne Bewährung.