Vom Balkon im zweiten Stock sehe ich ihn wieder langsam näher kommen. Sein Ziel liegt weiter unten im Garten. Fast jeden Tag in der Frühe macht er dort bei der Mutter mit ihrem Jungen einen Höflichkeitsbesuch.

Obgleich er wohl übernächtigt sein muss, ist er am wiegenden, elastisch kraftvollen Gang zu erkennen. Lässig und mit Selbstbewusstsein kreuzt er den Fußweg, ohne nach links oder rechts zu blicken. Dieser in die Jahre gekommene Herumtreiber verfügt über eine beeindruckende Körpersprache. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass er trotz seines verwahrlosten Zustands, irgendwie Autorität und Würde ausstrahlt. Ein Macho durch und durch, ein Kater mit struppigem, staubig grauen Fell.

Es scheint, dass weder ein Mensch noch er selbst großen Wert auf sein gepflegtes Äußeres legen. Vielleicht ist er ein vagabundierender Casanova, der eine feste Bleibe sucht. Nachdem er sich geschmeidig durch die Hecke in den Garten bewegt hat, bleibt er in respektvollem Abstand vor der Katze mit ihrem Jungen stehen. Nonchalant maunzt er, wobei dieses Maunzen fast wie ein dunkles, aber doch freundliches Knurren klingt.

Sie hält nur kokett den Kopf schief und hält schützend eine Pfote über ihr Junges. Er streckt sich ihr gegenüber im Gras aus und miaut, als sagte er einige nette Belanglosigkeiten. Dann schläft er auf Vorrat. Denn sein Terminkalender für die kommende Nacht ist offenbar übervoll. Viele Duelle und galante Abenteuer werden wieder auf ihn warten. Vielleicht dürfen darum alte Kater bei einem Höflichkeitsbesuch am frühen Morgen ein Nickerchen machen. Wer weiß?