Vergessene Gänge, versteckte Bunker, verwunschene Türme - ein neuer Bildband gibt besondere Einblicke in die Stadt Lüneburg.

Lüneburg. Auf den ersten Blick scheint die Treppe geradewegs in ein Raumschiff zu führen. Das Ungetüm aus blauem Stahl hat schon vor mehr als 100 Jahren im Lüneburger Wasserturm festgemacht. Die rote Backsteinfassade des Lüneburger Wahrzeichens ist Einheimischen gut bekannt, der Blick in das Innere seines historischen Wassertanks ist es nicht.

"Lüneburger Einblicke" haben Carolin George, Berit Neß und Andreas Tamme ihr zweites Buch über Lüneburg genannt, das am Donnerstagabend im Wasserturm vorgestellt wurde. "Wir wollten nur etwas machen, das wir selber kaufen würden", sagte Verleger Christian von Stern, der vor zwei Jahren schon das erste Lüneburg-Buch des Autorenteams "Augenblick in Lüneburg" herausgegeben hat.

Damit haben die Autoren offenbar einen Nerv getroffen, denn zu den Hansetagen, die in wenigen Wochen in Lüneburg gefeiert werden, erhalten die Mitglieder der internationalen Delegationen das Buch als Gastgeschenk. "Wir haben es in die englische Sprache übersetzen lassen und mit dem Hanselogo versehen. Nichts schien uns besser geeignet, um den Besuchern Lüneburg zu zeigen", sagte Jürgen Landmann, Kulturreferent der Stadt.

War es vor zwei Jahren das Ziel, Lüneburgs Wahrzeichen, Kirchen und Sehenswürdigkeiten, versehen mit spannenden Hintergrundinformationen, aus ungewöhnlichen Blickwinkeln in Szene zu setzen, haben sich die Autoren dieses Mal aufgemacht, Geheimnisse aufzuspüren, die hinter den Kulissen liegen. "Wir wollten wissen, wie es hinter den Fassaden aussieht", sagt Carolin George, die die Idee zu dem Buch hatte und die Texte zu den Bildern von Fotograf Andreas Tamme beigesteuert hat. Grafikerin Berit Neß schuf die gestalterische Verbindung zwischen den Bilder und Geschichten.

Entstanden ist ein Buch für Entdecker und besten Sinne Neugierige. Wer Lüneburg nicht kennt, kann die Stadt mit Hilfe der prächtigen Fotos, detailreichen Bildbeschreibungen und Anekdoten auf eine ganz eigene Art kennenlernen. Aber auch für Lüneburger, die ihre Stadt gut zu kennen glauben, hält der 130 Seiten starke Band mit Sicherheit einige Einblicke bereit, die es so bisher nicht zu sehen gab.

Beinahe in Vergessenheit geraten war ein geheimer Gang in der alten Stadtmauer. "In der Straße An der Bardowicker Mauer führt eine Holztür in den niedrigen, engen Gang, der vermutlich mal zu einem der Wehrtürme geführt haben muss", sagt Andreas Tamme, der den Geheimgang mit seiner Kamera festhielt.

Das Team klopfte aber nicht nur an die Pforten bekannter Sehenswürdigkeiten, sondern es dokumentiert auch Spuren der jüngeren Zeitgeschichte in der Stadt. Ein Bild entstand beispielsweise im ehemaligen Hilfskrankenhaus, dass sich unter der Erde, auf dem Gelände des Schulzentrums Oedeme befindet. Heute mutet der Bunker mit seinen schweren Stahlbetontüren skurril an, der zu Zeiten des Kalten Krieges im Angriffsfall bis zu 500 Patienten, Ärzte und Pflegepersonal für 14 Tage sicheren Unterschlupf gewähren sollte. Besonders bequem hätten es die Patienten in den Doppelstockbetten wohl nicht gehabt. Aber von einer Entgiftungsschleuse bis zum OP-Trakt hatten die Planer an alles gedacht.

Obwohl der Kalte Krieg längst beendet ist, wurde das Inventar des Hilfskrankenhauses, wie Bettwäsche, Mullbinden und Pflaster, erst im vergangenen Jahr endgültig ausgeräumt. Ironie der Geschichte: Ein Großteil der medizinischen Instrumente gingen als humanitäre Hilfe nach Russland, an den früheren Feind. Leer stehen die unterirdischen Räume aber nicht. Die Lüneburger Museen haben hier ihre Magazine und Speicher eingerichtet.

Für die Recherchen nahmen die Autoren einiges auf sich. Bisweilen ging es hinab in enge, dunkle Gänge und Keller und bisweilen steile Stufen hinauf bis Dachböden. Wie auf den Speicher der Alten Raths-Apotheke.

Genau geordnet und nummeriert stehen dort bis zu 400 Jahre alte Kräuter, Heilmittel und Pigmente. Carolin George hat genau recherchiert: "400 Schubladen und 1599 Fläschchen enthält das Kräuter- und Materiallager. Darunter sind auch drei getrocknete Wüstenechsen, mit denen man im 19. Jahrhundert Vergiftungen kurierte." Details wie dieses machen den Bildband zu einer wunderbaren Liebeserklärung an Lüneburg. Erhältlich ist er unter anderem in der Buchhandlung Perl.