Serie Meer-Sommer, Teil 3: Scharbeutz und Grömitz Die Badeorte an der Lübecker Bucht haben ein gemeinsames Ziel - mehr Klasse statt Masse

Scharbeutz/Grömitz. Hat es die Sonne erst durch die Wolkendecke geschafft, brennen ihre Strahlen auf der Haut wie durch eine Lupe gebündelt. Drückend schwül ist es an diesem Freitag, noch am frühen Morgen hat es in Strömen geregnet. Doch selbst das düstere Zwielicht vermag den positiven Eindruck nicht zu trüben, den Scharbeutz beim Besucher hinterlässt: Vom Ende der Seebrücke aus betrachtet erstreckt sich links und rechts ein pulverweißer Sandstrand, dahinter schlängelt sich in warmen Farbtönen die liebevoll gestaltete Dünenmeile entlang. Vor zehn Jahren wäre so ein Postkartenpanorama noch undenkbar gewesen.

Den warmen Sand zwischen den Zehen geht es über den Strand, vorbei an der Beach-Lounge, wo bis spät in die Nacht die Bässe wummern. Rund 3000 Strandkörbe gibt es auf 6, 5 Kilometern, Beachvolleyball ist hier der große Renner. Man hört die Spieler schon aus der Ferne: "Hier! Ich steh! Spiel mal rüber!" Vom Ostseebad mit leichtem Schmuddel-Image zum modernisierten Vorzeigeort: Der Strandbereich ist umgestaltet, die Fußgängerzone zur Promenade umfunktioniert worden - dort, wo 2003 noch Gestrüpp, Stacheldrahtzäune und hässliche Betonpisten die Landschaft prägten. Um zu erklären, was sich alles getan hat, bräuchte Joachim Nitz wohl einen ganzen Tag. Doch der Scharbeutzer Tourismusdirektor ist in Eile, der nächste Termin wartet. Während eine kühle Brise vom Meer herüberweht, stakst Nitz im Schnellschritt über die Strandallee.

Hier wird gebuddelt, dort niedergerissen und neu gebaut. Allein die Verschönerung der Promenade und der Küstenschutz haben rund 26 Millionen Euro gekostet. Eine Investition, die sich lohnt: Mit fast 800 000 Übernachtungen gehört Scharbeutz zu den großen Badeorten der Lübecker Bucht.

Um noch mehr Touristen anzulocken, ist Scharbeutz bei der Ortskernsanierung nicht zimperlich. So wird die Bastei, ein schmuckloser Rundbau aus den 50er-Jahren, abgerissen und durch ein modernes "Dünenhaus" mit Ladenzeile und Dachterrasse ersetzt. Im Kurpark kommt die Konzertmuschel weg, das Areal erhält dann einen Indoor-Bereich, gastronomische Außenflächen und einen größeren Spielplatz. Eine 80 000 Euro teure Skateranlage an der Promenade und die Verschönerung der Seebrücke sind geplant oder werden bald umgesetzt. Es gibt Bars, Restaurants und Minigolfanlagen mitten in den Dünen mit dem Meer in Sichtweite. Der Hochseilgarten im Kammerwald und die Ostsee-Therme runden das breite Freizeit-Portfolio ab.

Das Horn eines Schiffes, das gleich am Anleger der Seebrücke festmacht, tutet, es bringt Touristen aus anderen Seebädern. Am Strand spielen Wiebke und Roger Kammerer mit ihrem Sohn Bjarne unweit der Baustelle des neuen Viersternehotels Bayside. "So ein Hotel", so die Familie, "zerstört doch den dörflichen Charakter." Nicht nur von ihnen werden derartige neue Großprojekte kritisch unter die Lupe genommen, zumal es gerade der Mix von Folklore, relaxtem Strandleben und Freizeitangeboten ist, der bei den Touristen gut ankommt. "Wir wollen den Ort in den Strand und den Strand in den Ort holen", sagt Nitz. Schon jetzt ziehen sich "nordische, maritime Elemente" wie ein roter Faden durch Scharbeutz - da haben selbst die Klohäuschen und die Buden der Strandvermieter Reetdach und weiße Anstriche bekommen.

Trotzdem, es ist deutlich enger geworden. Etliche Händler tummeln sich an der Promenade, Ketten wie der Fischgastronom Gosch oder das hippe Modelabel Outback. Zwölf Geschäfte ließen sich allein 2011 nieder. Einigen Traditionsgeschäften macht der Boom im Bad indes zu schaffen. Thea Gräen steht hinter dem Verkaufstresen des Strandbasars "Bruno Gräen", der Krämerladen ist mit fast 90 Jahren das älteste Strandgeschäft. Ab und an hilft die 86-Jährige ihrer Tochter aus. "Viele alte Läden sind verdrängt worden", sagt die Seniorin. "Auch wir müssen kämpfen."

Während Scharbeutz seine Position in der Region gefestigt hat, ist das keine 20 Autominuten entfernte Grömitz längst ein Platzhirsch in der Lübecker Bucht. Beide Orte wollen dem Massentourismus den Rücken kehren und den Umbau zur touristischen Ganzjahres-Destination vorantreiben. Das eint die Bäder, Konkurrenz verortet man ohnehin eher in Mecklenburg-Vorpommern. "Wir wollen keine Bettenburgen, nicht mehr Ferienwohnungen. Kein höher, schneller, weiter", sagt der Grömitzer Tourismusdirektor Olaf Dose-Miekley.

Er steht auf der fast 400 Meter langen Seebrücke, eine der Hauptattraktionen von Grömitz. An ihrem Ende transportiert eine Tauchgondel Besucher für ein Unterwassererlebnis in eine Tiefe von vier Metern. Mit der Hand weist Dose-Miekley auf den Ortskern, direkt hinter dem Erlebnisbad "Grömitzer Welle" soll Ostern 2014 ein 20 Millionen Euro teures Wellness-Resort-Hotel eröffnen. Damit soll auch der Anteil der Hotelbetten erhöht werden - aktuell werden nur 1000 der rund 12 000 Betten von Hotels bereitgestellt. "Ein krasses Missverhältnis, das wir beenden wollen", sagt der Tourismuschef.

Unter seiner Ägide hat sich Grömitz zu einem der größten und profitabelsten Seebäder an der Ostsee entwickelt: 1,2 Millionen Übernachtungen im Jahr, 12 000 Gästebetten, 400 000 Tagesbesucher, dazu ein ausgeglichener Gemeindehaushalt. Weil Grömitz an einem Südstrand liegt, steht die Sonne an keinem anderen Ostseeort so lange über dem Wasser wie hier. Die Gemeinde mit ihrem acht Kilometer langen Sandstrand sei wohl auch deshalb so beliebt, vermutet Dose-Miekley, weil "klassische Werte wie Pünktlichkeit, Sauberkeit, Sicherheit großgeschrieben werden". Ein bisschen lebt der 42-Jährige, der mit 28 Jahren Tourismuschef wurde, selbst nach diesen Prinzipien: Mal bückt er sich auf der Straße nach einer Zigarettenschachtel, mal räumt er mit den Worten "Das gehört hier nicht hin" ein Werbeschild beiseite.

Grömitz ist voller und bebauter als Scharbeutz. Direkt an der Promenade steht eine große Bühne für die Animation, aus mächtigen Boxentürmen plärrt aktuelle Chartmusik. Restaurant reiht sich an Restaurant, mehr als 100 sind es insgesamt. Die Hautevolee trifft sich indes am Yachthafen, der unter Seglern als schönster Ankerplatz der Ostsee gilt. Er ist vor zwei Jahren für zehn Millionen Euro fertiggestellt worden und verfügt nun über 1000 Liegeplätze. Die hölzerne, rundum erneuerte Hafenpromenade wirkt hochwertig, es gibt neuerdings eine Wassersport- und eine Surfschule, außerdem Restaurants und Bars, gleich daneben beginnt die Steilküste, die zum träumerischen Verweilen einlädt, wenn die Sonne untergeht.

Besonders stolz ist Dose-Miekley auf den neuesten Streich des Ostseebades: das Baugebiet Lensterstrand. Für 3,5 Millionen Euro ist am Naturstrand in nur zwölf Monaten eine Siedlung mit 50 Häusern im skandinavischen Stil aus dem Boden gestampft worden. Die Eigentümer dürfen ihre Immobilien - reine Renditeobjekte - allerdings für die nächsten zehn Jahre nur 60 Tage im Jahr selbst nutzen, die übrige Zeit müssen sie sie vermieten. So will die Gemeinde sicherstellen, dass immer wieder neue Gäste nach Grömitz kommen - die dann auch Kurtaxe zahlen. In der nächsten Bauphase sollen am Lensterstrand unter anderem noch mehr Wohnmobilabstellplätze entstehen. Um die Attraktivität zu erhöhen, hat die Gemeinde einen Aussichtsturm mit Riesenrutsche und einen Hochseilgarten dazugebaut. Alles in feinster Holzoptik, alles sehr sauber. Und nah dran an dem, was die Ostseebäder Scharbeutz und Grömitz für die Zukunft anpeilen: "Mehr Klasse statt Masse".