Die Anwohner des maroden Lagers Asse schwanken zwischen Angst und Wut. Die Rückholung der 126.000 Fässer könnte Jahrzehnte dauern.

Wolfenbüttel/Lüchow. Auf den ersten Blick wirkte das Treffen an diesem Wochenende wie ein Familienfest. Alt und Jung sitzt bunt durcheinander, es gibt Kaffee und Kuchen. Aber der Mann vorne wirft eifrig Zahlenkolonnen an die Wand, in denen es um die Gefahren radioaktiver Strahlung geht, um Millisievert und Becquerel und darum, ob ein höherer Schornstein geeignet sein könnte, die Menschen rund um das marode Atomendlager Asse besser zu schützen.

Die rund 100 Teilnehmer im Saal des etwas heruntergekommenen Veranstaltungszentrums in Wolfenbüttel eint die Sorge um die Zukunft ihrer Kinder. Sie alle wohnen im direkten Umkreis des ehemaligen Salzbergwerks, dessen Grubengebäude einsturzgefährdet ist und in das unkontrollierbar Wasser läuft. "AufpASSEn" heißt die Bürgerinitiative und das große gelbe Symbol A aus Holz findet sich in den kleinen Dörfern rund um die Asse inzwischen ähnlich häufig wie das gelbe X im Wendland rund um den Gorlebener Salzstock, wo ein Endlager für hoch radioaktiven Atommüll geplant wird.

Was die Wendländer noch zu verhindern suchen, damit müssen die Remlinger leben: 126 000 Fässer mit schwach und mittel aktivem Müll sind unter dem sanften Höhenzug am Rande des Harzes zwischen 1967 und 1978 verbuddelt worden. Diese Zeitbombe ist in den Köpfen der Menschen präsent und umso wichtiger ist es, dass sie ihre Ängste aussprechen und teilen können. Nach den Fachvorträgen gibt es deshalb lauter Kleingruppen an runden Tischen, eine Art Familientherapie für Nachbarschaften. Wer den kleinen bunten Ball bekommt, kann sich seine Nöte von der Seele reden, alle anderen hören dann zu und schweigen. Warum im Umfeld der Asse die Zahl der Mädchengeburten so deutlich unter dem eigentlich zu erwartenden statistischen Mittelwert bleibt, was mit der Häufung an Leukämieraten und Schilddrüsenkrebs ist? Ob man nicht doch wegziehen sollte? Wie aber geht das überhaupt angesichts der gesunkenen Immobilienpreise?

Aufnahme auch von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen?

Anfang 2010 hat das Bundesamt für Strahlenschutz (BfS) als neuer Betreiber der Asse eine wichtige Feststellung getroffen, die den Menschen Mut macht. Im maroden alten Bergwerk kann der Nachweis der Langzeitsicherheit nicht wie im Atomgesetz festgeschrieben für Hunderttausende von Jahren geführt werden. Der Müll soll wieder raus - aber ob das gelingt, ist offen.

Michael Siemann ist beim BfS Fachbereichsleiter für die Sicherheit nuklearer Entsorgung und in seinem Referat in Wolfenbüttel wimmelt es von Begriffen wie "vielleicht", "hypothetisch" und "möglicherweise". Ein alter Mann im Publikum ist genervt: "Halten die uns alle für dumm?" Fred Hichert, 67 Jahre alt, aus Wittmar, wird deutlicher: "Es geht denen nur darum, immer höhere Hürden aufzubauen mit dem Ziel, dass dann die Bergung für unmöglich erklärt werden kann." Dem dienen seiner Meinung nach auch die neuen Berechnungen über die Strahlenbelastung, wenn der Müll an die Oberfläche gebracht und dann in einem riesigen Zwischenlager neu verpackt wird. "Die wollen uns nur in Angst und Schrecken versetzen", meint er.

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Andererseits gibt es nach den Referaten des Fachbereichsleiters und eines Diplom-Physikers freundlichen Beifall. Der größte Unterschied zwischen den Atomkraftkritikern im Umfeld der Asse und denen im Wendland ist, dass es dem Bundesamt gelungen ist, ein transparentes Verfahren zu organisieren. Hinzu kommt: Allen Menschen um das Endlager ist klar, dass sie angesichts der Bedrohung unter ihren Füßen gar keine Alternative dazu haben, mit dem BfS zu kooperieren - trotz Misstrauens.

Davon ist Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU) weit entfernt bei seinem Versuch, einen Bürgerdialog im Wendland zu organisieren. Die Mehrheit der Parteien im Kreistag, das bunte Bündnis von Bürgerinitiativen (Bis), sie alle nehmen nicht teil, wenn übermorgen in Hitzacker die erste Dialogveranstaltung stattfindet.

Castoren-Strahlung bis ins Dorf - Wer misst hier richtig?

Gestern zum Beginn der Frühschicht gab es am Tor des Erkundungsbergwerks eine kurze Ankettaktion, Ende November, wenn der nächste Castor-Transport rollt, ist wieder der größte jährliche Polizeieinsatz in Deutschland programmiert. Schon 2010 haben sich Zehntausende dem Castor in den Weg gestellt, mehr als je zuvor. Dass Röttgen dennoch allein Gorleben weiter auf Tauglichkeit untersuchen lässt, treibt inzwischen sogar den niedersächsischen Ministerpräsidenten David McAllister (CDU) auf die Barrikaden. Aber an diesem Wochenende hat ihm Röttgen einen Brief geschrieben und unmissverständlich klargemacht, dass es bei Gorleben bleibt - alternativlos.