Oberverwaltungsgericht in Schleswig erklärt Regionalpläne für unwirksam und spricht von „schweren Fehlern“

Schleswig. Der Ausbau der Windenergie in Schleswig-Holstein wird sich beschleunigen – und er wird wohl unkontrollierter verlaufen als bisher geplant. Grund: ein am Dienstag verkündetes Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG). Es führt dazu, dass für Windanlagenbau ab sofort nur noch die Beschränkungen des Baugesetzbuches gelten. Die Richter hatten über elf Klagen zu entscheiden. Zwei wurden „mangels Antragsbefugnis“ abgewiesen, neun hatten Erfolg.

Die Klagen richteten sich gegen zwei Regionalpläne, die seit 2012 gelten und Basis für die Ausweisung von Standorten für Windanlagen sind. Betroffen sind die Kreise Segeberg, Stormarn, Pinneberg, Herzogtum Lauenburg, Plön und Rendsburg-Eckernförde sowie die Städte Kiel und Neumünster. Das Oberverwaltungsgericht erklärte diese Regionalpläne nun für unwirksam. Es sprach von „schweren Planungsfehlern“. Unter anderem waren die Richter nicht damit einverstanden, dass die Gemeinden vorab selbst entscheiden konnten, ob sie Standorte ausweisen wollten oder nicht. Ablehnende Voten seien ohne weitere Abwägung in die Regionalpläne übernommen worden, dies sei falsch, urteilten die Richter. Bereits gebaute Anlagen sind von der Entscheidung nicht betroffen. Sie genießen Bestandsschutz.

Das Urteil hat zur Folge, dass alle Regionalpläne im Bereich Windenergie neu erarbeitet werden müssen. Dies wird etwa zwei bis drei Jahre dauern. Bis dahin gelten die Regelungen des Baugesetzbuches, die zum Beispiel die Errichtung von Windanlagen außerhalb von Siedlungsgebieten erleichtern. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) sagte: „Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts führt im Ergebnis zu mehr Windenergie, nicht zu weniger.“ Einen Planungsstopp werde es nicht geben. „Das Urteil stärkt die Investoren, denn wir haben jetzt mehr Flächen für Windenergie zur Verfügung“, sagte Albig.

Genau das könnte zu Problemen führen. Der gerade stattfindende Stromnetzausbau ist auf eine bestimmte Menge an Windenergie ausgelegt, ähnliches gilt für die komplizierten finanziellen Regelungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes. Ziel der Regierung war es bislang, den Ausbau der Windenergie auf 1,7 Prozent der Landesfläche zu begrenzen. Mit der Unwirksamkeit der Regionalpläne ist auch dieses Ziel obsolet.

Alle Anträge für den Bau von Windanlagen, die jetzt im Genehmigungsverfahren sind, werden nach den Kriterien des Baugesetzbuches bearbeitet werden müssen. 377 Anlagen sind es, eine schnelle Genehmigung ist wahrscheinlich. Hinzu werden neue Anträge kommen. Sie könnten auch in Gemeinden gestellt werden, die sich gegen den Bau von Windmühlen ausgesprochen hatten. Oder in Gegenden, die das Land bislang ausgenommen hatte, um typische Landschaftsbilder zu erhalten – zum Beispiel die Halbinsel Eiderstedt.

Mit der Fortschreibung der Regionalpläne wurde im Jahr 2010 begonnen. Die Federführung hatte die Landesplanungsbehörde. Das Land, damals von einer schwarz-gelben Koalition unter Ministerpräsident Peter Harry Carstensen (CDU) regiert, wollte die Zahl der für Windanlagen geeigneten Flächen in die Höhe treiben, zugleich aber auch mit Verboten in besonderen Bereichen dafür sorgen, dass eine „Verspargelung“ der Landschaft verhindert wird. Am Ende eines langwierigen Verfahrens traten die Änderungen in den Regionalplänen am 17. Dezember 2012 in Kraft. Wichtigstes Ergebnis: Die für Windmühlen geeignete Fläche wuchs auf nahezu das Doppelte an. Vor der Teilfortschreibung waren es rund 13.600 Hektar, danach 26.891. 60 Prozent der zusätzlichen Fläche sind bereits bebaut oder im Planungsprozess.

Bargteheider fordern mindestens 800 Meter Abstand zu ihren Häusern

Torsten Albig bekannte sich am Dienstag zu den von der Vorgängerregierung festgelegten Zielen. Es sei um einen behutsamen Ausbau der Windenergie sowie um eine bürgernahe Landes- und Regionalplanung gegangen, sagte er. Doch der Ausbau rief bald Kläger auf den Plan. Die Windparkbetreiber fanden, dass die Verbote sie zu sehr einschränkten. Anlieger von Windeignungsflächen sahen das ganz anders. Sie meinten, dass die Einschränkungen noch viel umfangreicher sein müssten. In Bargteheide (Kreis Stormarn) gibt es einen solchen Fall. Die Nachbargemeinde Jersbek klagte gegen einen Windpark mit drei Rotoren. Die Umweltverträglichkeit für Flora, Fauna und Habitat sei nicht ausreichend geprüft worden. „An den Windpark würde unmittelbar der Klein Hansdorfer Brook grenzen“, sagt Bernd Gundlach, der als Verwaltungschef des Amtes Bargteheide-Land Jersbek vertritt. Im Brook bildeten Landschaftsschutz- und teilweise Naturschutzgebiete ein Naturverbundsystem. Gundlach: „196 Meter hohe Windmühlen würden daneben stehen. Und auf der anderen Seite liegt der denkmalgeschützte Barockgarten.“

In Lüchow ist die Situation umgekehrt. Die 200-Einwohner-Gemeinde, die zum Amt Sandesneben-Nusse gehört, möchte Eignungsflächen ausweisen, darf sie laut Regionalplan aber nicht, weil der „charakteristische Landschaftsraum“ geschützt werden sollte. Mit diesem Schutz ist es nun vorbei. Am Dienstag war die Freude über die Entscheidung groß. „Mit einer so klaren Entscheidung hätte ich nicht gerechnet“, sagte Amtsleiter Thomas Jessen.