SPD, CDU, Grüne und SSW wollen erreichen, dass Schleswig-Holsteiner ihre Stimme künftig an zwei Tagen abgeben können.

Kiel. „Politikverdrossenheit ist eine komplizierte Sache“, weiß Ralf Stegner, der Chef der SPD-Fraktion im schleswig-holsteinischen Landtag. Immerhin ist sie messbar. 60,2 Prozent der Wahlberechtigten gaben bei der letzten Landtagswahl im Jahr 2012 ihre Stimme ab. 1983 waren es noch satte 84,8 Prozent. CDU, SPD, Grüne und SSW im Kieler Landtag wollen nun mit einem Parlamentsantrag etwas gegen die Wahlmüdigkeit tun. Mehr Wahlkampf und mehr Service für die Bürger, zum Beispiel Wahllokal-Öffnungszeiten oder einen zusätzlichen Wahltag. So lassen sich die Vorschläge zusammenfassen, über die demnächst im Rahmen von öffentlichen Anhörungen in Schleswig-Holstein debattiert werden soll. Einig sind sich die Politiker allerdings nicht. Die FDP und die Piraten wollen den Antrag ablehnen.

Die anderen machen mit. Sie haben dabei unterschiedliche Schwerpunkte, sind sich aber im Grundsatz einig: Kampf dem Verdruss. „Ich finde die Initiative gut“, sagt der CDU-Fraktionschef Daniel Günther. Er ärgert sich insbesondere über eine Landesverordnung, die Politikerauftritte in Schulen reglementiert. „Je näher wir an den Wahltermin heranrücken, desto schwieriger wird es, in Schulen für die Wahlen zu werben“, sagt er. „Das ist doch absurd. Wollen wir eine demokratiefreie Schule?“ Im Antrag der vier Fraktionen heißt es nun: „Besuche von Politikerinnen und Politikern an Schulen sind erwünscht, gerade auch in Wahlkampfzeiten.“ Zugleich werden die Lehrer aufgefordert, mehr politisches Wissen zu vermitteln. „Schulen werden angehalten, Politik, auch Kommunalpolitik, im Unterricht zu vermitteln“, heißt es in dem Antrag. Dazu Günther: „Es gibt Schulen, die das gut machen. Aber andere machen es eben nicht.“

Lars Harms, der Fraktionschef des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW), findet, dass schon kleine Änderungen viel bewirken können. Ihm gefällt die Idee, zusammen mit der Wahlbenachrichtigung auch gleich die Briefwahlunterlagen zu verschicken. „Das wäre ein guter Service für die Wähler“, sagt er. In Dänemark habe man zudem positive Erfahrungen mit mobilen Wahllokalen gemacht. „Die waren zum Beispiel an Jugendtreffpunkten unterwegs“, sagt Harms. „Das hat viel gebracht.“ Dass in Schleswig-Holstein etwas geschehen müsse, sei unbestritten. „Die niedrige Wahlbeteiligung ist beschämend.“ Unklar ist allerdings, ob sie mit dem bunten Strauß von Ideen anzuheben ist.

„Es schadet ja nichts, für die Demokratie zu werben“, sagt Dr. Wilhelm Knelangen, Politikwissenschaftler an der Universität Kiel. „Aber zu den Ursachen der Politikverdrossenheit wird in dem Antrag der vier Fraktionen nichts gesagt. Sie ist auch in der Art und Weise begründet, wie im Landtag Politik gemacht wird.“ Knelangen ist der Ansicht, dass viele Nichtwähler von der Politik gar nicht mehr erreichbar seien. Die Piraten sehen das ähnlich. „Die Parteien haben an Vertrauen verloren, sie entscheiden nicht mehr im Sinne der Bürger“, sagt der Landtagsabgeordnete Patrick Breyer. „Da hilft auch keine Kosmetik.“ Stattdessen müssten die Parteien „Selbstkritik“ üben und mehr direkte Bürgerbeteiligung zulassen. In einem eigenen Antrag fordern sie unter anderem, die für eine Volksabstimmung erforderliche Zahl von Unterschriften zu verringern. Die Piraten und die FDP hatten Stegners Initiative anfangs unterstützt. Die Liberalen haben sich jetzt aus Verärgerung zurückgezogen. „Nach den Vorfällen bei der letzten Landtagssitzung können wir nicht so tun, als ob die parlamentarische Zusammenarbeit wunderbar ist und wir alle an einem Strang ziehen“, sagt Heiner Garg, Landtagsabgeordneter und FDP-Landesvorsitzender. In jener Sitzung hatten die Koalitionsfraktionen SPD, Grüne und SSW einen Personalvorschlag abgelehnt. Der Landesrechnungshof hatte Christian Albrecht, den ehemaligen Pressesprecher der FDP-Landtagsfraktion und Vertrauten des Fraktionschefs Wolfgang Kubicki, zum Abteilungsleiter machen wollen. Kubicki kündigte sofort nach der Abstimmungsniederlage das seit 22 Jahren geltende Pairing-Abkommen mit der SPD. Darin ist geregelt, dass Krankheitsfälle bei Landtagsabgeordneten nicht dazu ausgenutzt werden, Zufallsmehrheiten zu bilden, die dem Wahlergebnis widersprechen. Die Ablehnung des Kandidatenvorschlags sei „ein Tiefpunkt in der schleswig-holsteinischen Parlamentsgeschichte“, so Kubicki damals. Der Zorn ist noch nicht verraucht. „Wir wollen jetzt nicht das Signal aussenden, dass vor Weihnachten alles wieder gut ist“, sagt Heiner Garg.

Unverdrossen werden die Politiker, auch die von der FDP, dennoch demnächst über die Ideen zur Hebung der Wahlbeteiligung diskutieren. Der Innen- und Rechtsausschuss wird sich des Antrags der vier Fraktionen annehmen. Im kommenden Jahr könnte dann ein Beschluss gefasst werden, der den Akt der Stimmabgabe revolutioniert. Vielleicht wählen wir 2017 den neuen Landtag an einem Montag in einem Einkaufszentrum.