Tourismusbranche verzeichnet mit 14,5 Millionen Übernachtungen erneut Zuwächse. Auf Juist gibt es jetzt ein Gästeparlament

Hannover. Mehr Gäste, aber vor allem mehr Übernachtungen: Die Tourismusbranche in Niedersachsen freut sich über den positiven Trend des Jahres 2014. Aber die Verantwortlichen sehen auch Grund zur Sorge: Die Europäische Union reduziert ihre Zuschüsse für Investitionen, obwohl der Förderbedarf wächst. Sven Ambrosy, friesischer Landrat und Vorsitzender des Tourismusverbands Niedersachsen, nennt es eine „Mammutaufgabe“, unter diesen Rahmenbedingungen marktgerechte Angebote zu entwickeln.

Ambrosy will vor allem die Landesregierung in die Pflicht nehmen: „Sie hat den Tourismus zu einem besonders zu entwickelnden Leitmarkt mit großen Potenzialen erklärt.“ Richtig ist außerdem, dass der Tourismus mit den Schwerpunkten Harz, Heide und Küste genau in solchen Regionen floriert, wo es ansonsten wenige Alternativen gibt für Menschen, die Arbeit suchen. Und so versuchen die Tourismusmacher, mit dem jeweiligen Pfund zu wuchern: Wattwanderungen an der Nordsee, Kutschfahrten in der Heide und gut gepflegte Skipisten, notfalls mit künstlichem Schnee im Harz.

Die Branche geht aber auch neue Wege: Auf der Insel Juist gibt es seit Oktober das erste Gästeparlament, in dem sich zehn Urlauber einmal im Jahr in die Belange der Insel einmischen können mit Anregungen, eigenen Plänen aber auch Kritik. Thomas Vodde, Marketingchef der Insel, schwärmt: „Diese Art der Bürgerbeteiligung hat es so in Deutschland noch nicht gegeben.“ In den Regionen mit den großen Kalihalden etwa rund um Hannover haben die Kommunen begonnen, die künstlichen Berge zu begrünen und nach dem Vorbild des Ruhrgebiets mit seinen Kohlehalden als Aussichtspunkte und Freizeitareale zu nutzen. Der Teufelssteig im Harz, ein besonders anspruchsvoller Wanderweg, ist gerade von 13 auf 26 Kilometer verlängert worden und führt von West (Bad Harzburg, Niedersachsen) über den Brocken bis nach Elend in Sachsen-Anhalt. In Wagenfeld im Landkreis Diepholz hat im Oktober das neue Infozentrum Moor eröffnet. Und für das Pferdeland Niedersachsen sehen die Experten weiteres Wachstumspotenzial im Tourismus.

Die Statistiker haben für die Sommermonate 4,4 Millionen Gäste ausgerechnet, insgesamt 14,5 Millionen Übernachtungen. In den Ferienmonaten zog es vor allem Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen in das Bundesland. 3,4 Übernachtungen waren es im Durchschnitt, deutlich mehr als deutschlandweit mit 2,9 Übernachtungen. Die ostfriesischen Inseln lagen mit durchschnittlich 6,7 Übernachtungen noch einmal deutlich darüber.

Nicht nur das Bundesland Niedersachsen meldet eine Supersaison, sondern auch Deutschland insgesamt verzeichnet im Fremdenverkehr das fünfte Rekordjahr in Folge mit einem Plus von mehr als zwei Prozent trotz der ungünstigen Ferientermine und der Fußball-Weltmeisterschaft. Damit zählt Deutschland mehr Urlauber als Spanien oder Italien.

Erwartungsgemäß machte Ambrosy als Vorsitzender des Tourismusverbandes energisch Front gegen die geplante Maut für ausländische Pkw. Er fürchtet Umsatzeinbußen nicht nur in der Grenzregion etwa zu den Niederlanden. Auch der Harz ist ebenfalls beliebt bei Gästen aus dem Nachbarland. „Es drohen schwere Auswirkungen“, sagte Ambrosy mit Blick auf wegbrechende Umsätze und betonte, die Freizügigkeit in Europa sei eine Erfolgsgeschichte. Und Sven Ambrosy untermauerte seine Befürchtung wegbrechender Umsätze mit Zahlen. Durchschnittlich 284 Euro geben Touristen pro Reise aus: „Wenn man 100 Euro pro Vignette ausgeben muss, dann überlegt man sich das vielleicht noch einmal.“

Von den knapp eine Million ausländischen Gästen in den Beherbergungsbetrieben in Niedersachsen in den ersten acht Monaten des laufenden Jahres kam laut Statistischem Landesamt immerhin ein Drittel aus den Niederlanden. Auffällig ist der Rückgang der Gäste aus Russland im genannten Zeitraum um fast 20 Prozent auf 52.000 Übernachtungen. In den kommenden sechs Jahren werden laut Ambrosy die EU-Mittel zum Ausbau touristischer Angebote wie Barrierefreiheit, Radwege und Wintersportanlagen um etwa 40 Prozent sinken auf dann unter 30 Millionen Euro. Deswegen fordert die Fremdenverkehrsbranche, landesweit eine Tourismusabgabe einzuführen für die Betriebe, die direkt und indirekt vom Tourismus profitieren.

Und der Landfriesische Landrat Ambrosy hofft außerdem auf finanzielle Entlastung für die Kommunen durch den Bund, damit Kreise, Städte und Gemeinden mehr investieren können in touristische Angebote.