19-Jähriger aus Neu Wulmstorf muss sich wegen Totschlags an seiner Schwester verantworten. Das Motiv ist noch völlig unklar. Eltern sind von seiner Unschuld überzeugt

Stade/Neu Wulmstorf. Völlig emotionslos hat der 19 Jahre alte Ahmed A. aus Neu Wulmstorf am Montag die Verhandlung vor dem Landgericht Stade gegen ihn verfolgt. Der dunkelhaarige, schlanke Mann erschien in Jeans, dunkelgrauem Hemd und Turnschuhen im Gerichtssaal. Er verfolgte aufmerksam die Aussagen und legte die Hände ruhig in den Schoß. Ab und an nickte er nur mit dem Kopf, etwa als der Richter ihn über seine Rechte aufklärte. Die Anklage lautet auf Totschlag. Ihm wird vorgeworfen, seine elfjährige Schwester Aya getötet zu haben.

Die Staatsanwaltschaft ist überzeugt, dass Ahmed A. seiner Schwester Gewalt an Hals und Oberkörper zugefügt und sie erwürgt hat. Anschließend soll er die Leiche in einen Müllsack gesteckt und im Gartenhaus auf dem Grundstück des Familienhauses an der Theodor-Heuss-Straße in Neu Wulmstorf versteckt haben. Über das Motiv ist noch nichts bekannt.

Ahmed A. hat sich bislang nicht zur Tat geäußert und das wird sich offenbar auch im Verlauf des Prozesses nicht ändern. „Unser Mandant wird schweigen“, erklärte Rechtsanwältin Annette Voges aus Hamburg, die den 19-Jährigen gemeinsam mit den Hamburger Rechtsanwälten Robert Funk und Gerhard Strate vertritt.

Und so deutet alles auf einen Indizienprozess hin. Die Eltern erschienen am Montag nicht im Gericht. Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden sie und auch die ältere Schwester von Ahmed A. die Aussage verweigern. Bis Mitte der Woche klärt sich, ob sich die Familienmitglieder doch noch äußern werden. „Davon hängt einiges ab“, sagte Richter Berend Appelkamp in der Verhandlung. „Vieles, was in den Akten steht, hat mit den Angaben der Eltern zu tun.“

Die Familie ist überzeugt, dass Ahmed A. keine Schuld trifft. Der Vater hatte die elfjährige Aya am 21. März bei der Polizei als vermisst gemeldet und war davon ausgegangen, dass sie entführt wurde. Der Mitschnitt des Notrufs wurde gestern im Gericht abgespielt. „Jemand schreibt, sie ist auf dem Weg nach Bayern“, hatte der Vater der Polizei am 21. März am Telefon mitgeteilt. Auch als Ahmed A. die Stimme seines Vaters auf dem Tonband hörte, blieb er regungslos.

Noch am selben Abend, nachdem der Notruf des Vaters bei der Polizei eingegangen war, wurde der damals 18-Jährige Ahmed vernommen – in der Hoffnung, von ihm Hinweise zu bekommen, wo sich Aya aufhält. Wenige Stunden später fanden die Beamten die Leiche der kleinen Aya. Mit Hunden suchte die Polizei die Umgebung ab. In der Nacht schlug eines der Tiere am Gartenschuppen auf dem Grundstück der Eltern an der Theodor-Heuss-Straße an. Als die Beamten die Tür des Schuppens öffneten, fanden sie das tote Mädchen.

Um etwa drei Uhr nachts wurde der Bruder unter dringendem Tatverdacht festgenommen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Die Verteidigerin Annette Voges beantragte, die Aussage von Ahmed A. am Abend des 21. März nicht für den Prozess zu verwenden. Dem Angeklagten sei eine Falle gestellt worden. „Zum Zeitpunkt der Vernehmung hegte der Polizist schon einen Verdacht, auch wenn dieser konturenlos war“, sagte Voges dem Hamburger Abendblatt.

Offenbar kannte der vernehmende Beamte den Angeklagten. Woher genau konnte noch nicht geklärt werden. Der Beamte sei mit Vorurteilen behaftet gewesen, so Rechtsanwältin Voges. „Aus so einer Verdachtslage heraus hätte mein Mandant nicht als Zeuge vernommen werden dürfen.“ Das heißt: Er hätte darüber aufgeklärt werden müssen, dass es ihm gegenüber einen Tatverdacht gibt und die Beamten hätten ihn über seine Rechte informieren müssen. „Wenn er die Belehrung nicht bekommen hat, kann es dazu führen, dass seine Angaben nicht mehr in den Prozess eingeführt werden können“, erläuterte Petra Baars, Pressesprecherin am Landgericht Stade.

Ahmed A. gilt im Sinne des Strafrechts als Heranwachsender. Im Falle einer Verurteilung erwartet ihn eine Jugendstrafe von bis zu zehn Jahren. Für den Prozess sind zwölf Verhandlungstage angesetzt. Er wird am 15. September fortgesetzt.