Die verbesserte Ausbildung der Helfer führt zu einem neuen Zuschnitt der Kompetenzen. Ziel ist es, die Notärzte zu entlasten. Mediziner warnen, Krankenkassen protestieren.

Kiel/Ahrensburg. Menschen sollen in Notfällen besser versorgt werden – insbesondere in ländlichen Regionen. Mit dieser Idee brachte die Bundesregierung 2013 ein Notfallsanitätergesetz auf den Weg, das Anfang dieses Jahres in Kraft trat. Mit ihm wird die Ausbildung der Helfer neu geregelt. Außerdem sollen ihre Kompetenzen erweitert werden. Ziel ist es, die Notärzte zu entlasten. Doch bis heute wissen die Sanitäter nicht, was genau auf sie zukommt. Krankenkassen haben bereits Widerstand angekündigt. Die Kosten für die Ausbildung vervierfachen sich. Und für die Patienten stellt sich die Frage, ob wichtige medizinische Entscheidungen in Zukunft nicht mehr von einem Arzt, sondern vom Rettungsassistenten gefällt werden.

Die Ausbildung dauerte bisher zwei Jahre. Die ersten zwölf Monate verbrachten die angehenden Helfer in einer Berufsfachschule. Die Kosten dafür mussten sie selbst tragen. Nach der Theorie folgte ein einjähriges Anerkennungspraktikum an einer Rettungswache. In dieser Zeit verdienten die Azubis monatlich rund 1300 Euro – gezahlt von den Krankenkassen. Die neue Ausbildung dauert ein Jahr länger, zugleich ändert sich die Berufsbezeichnung: aus Rettungsassistenten werden Notfallsanitäter. Die Schüler sind abwechselnd an der Berufsschule, im Krankenhaus und an der Rettungswache. Jedes Lehrjahr wird vergütet.

Eine Expertengruppe, die das Land Schleswig-Holstein eingerichtet hat, schätzt, dass künftig die Ausbildung eines Notfallsanitäters 55.500 Euro kostet. Die eines Rettungsassistenten kostet die Krankenkassen derzeit 13.000 Euro. Im vergangenen Jahr bekamen in Schleswig-Holstein 232 Helfer nach dem Anerkennungspraktikum eine Berufserlaubnis. Aufs Jahr hochgerechnet zahlten die Kassen dafür rund drei Millionen Euro. Künftig dürften sie das Vierfache zahlen müssen.

„Wir gehen sogar von noch höheren Kosten aus“, sagt Florian Unger, Sprecher des Verbands der Ersatzkassen (vdek) in Schleswig-Holstein. „Unsere Kalkulationen haben ergeben, dass die Ausbildung eines Notfallsanitäters etwa 110.000 Euro kosten wird.“ Er begründet dies unter anderem damit, dass für die Notfallsanitäterlehrgänge in Krankenhäusern Ärzte abgestellt werden, die bezahlt werden müssten. „Wir lesen in dem Gesetz jedoch nicht, dass wir diese Kosten tragen müssen“, so Unger.

Das Land sieht das anders. Sollte die Finanzierungsfrage nicht kurzfristig geklärt werden, will sich das Gesundheitsministerium dafür einsetzen, dass die Kassen gesetzlich dazu gezwungen werden. Auch der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, Lutz Stroppe, hatte vor wenigen Tagen klargestellt, dass die Kassen zur Übernahme der Kosten verpflichtet sind. In Mecklenburg-Vorpommern hat die Sozialministerin am Mittwoch verkündet, dass sie eine Zusage für die Finanzierung der Ausbildung von den Kassen bekommen habe.

Denn die Zeit drängt. Ab 2015 dürfen keine Rettungsassistenten mehr ausgebildet werden. Eine Expertengruppe des Landes arbeitet derzeit an den Inhalten der neuen Berufsausbildung. „Ein Rahmenplan liegt als Entwurf vor und sollte aus unserer Sicht nach der Sommerpause entscheidungsreif sein“, sagt Ministeriumssprecher Frank Struntz-Pindor.

Nach der Ausbildung seien Notfallsanitäter befähigt, in lebensbedrohlichen Fällen „auch dem Arzt vorbehaltene invasive Maßnahmen durchzuführen“, so Struntz-Pindor. Die Landesregierung erwartet, dass so der Notarztdienst entlastet wird. Notfallsanitäter sollen in Zukunft auch erkennen können, ob sich ein Patient in einer lebensbedrohlichen Situation befindet.

Kritik kommt von Stefan Behrens, der die Notarztgruppe im Kreis Stormarn leitet. „Stellen Sie sich vor, ein Kind hat einen Fahrradunfall und klagt über Bauchschmerzen“, sagt er. „Auf der Fahrt ins Krankenhaus stirbt es dann an inneren Blutungen.“ Mit diesem Beispiel will der Kardiologe zeigen, was passieren könnte, wenn ein Sanitäter eine ernsthafte Erkrankung nicht erkennen sollte. „So etwas kann man auch nicht innerhalb von drei Jahren lernen“, sagt Behrens, der gegen zusätzliche Kompetenzen für Sanitäter ist. „Natürlich finde ich es gut, dass die Ausbildung verbessert wird, aber an dem bewährten Rettungssystem darf sich nichts ändern“, so Behrens.

Derzeit dürfen die Assistenten nur in lebensbedrohlichen Notfällen Medikamente geben – beispielsweise Adrenalin bei Reanimationen oder Insulin bei diabetischen Schocks. Jan Osper, der als Rettungsassistent an der Wache in Stemwarde arbeitet, hofft, dass sich das in Zukunft ändert. „Wir sollten auch in nicht lebensbedrohlichen Situationen Medikamente verabreichen dürfen“, sagt der 26-Jährige. „Häufig kommen wir an einen Unfallort und jemand klagt über unerträgliche Schmerzen. Doch wir dürfen kein Schmerzmittel verabreichen. Weil keine lebensbedrohliche Situation vorliegt. Da kommen wir uns natürlich blöd vor“, so der Rettungsassistent, der in solch einem Fall auf den Notarzt warten muss.

Dass dieser häufig später am Einsatzort eintrifft, liegt oft allein daran, dass es nicht an jeder Rettungswache einen Notarzt gibt. Über den Kreis Stormarn sind acht solcher Stationen verteilt. Aber nur in Ahrensburg, Reinbek und Bad Oldesloe sitzt auch je ein Notarzt. Ferner besteht die Gefahr, dass alle drei Notärzte gleichzeitig im Einsatz sind. „In solch einem Fall wird ein Notarzt per Hubschrauber eingeflogen“, sagt Frank Wojciechowski, Leiter der 112-Notrufzentrale in Bad Oldesloe. Er begrüßt es, dass Notfallsanitäter mehr Kompetenzen haben. Denn vor vielen Jahren hat er einmal erlebt, dass ein Patient gestorben ist – möglicherweise deshalb, weil sich der Notarzt verspätet hatte.