Klaus Thies aus Tornesch litt jahrelang an den Folgen einer Spätborreliose. Heute hilft er anderen Erkrankten

Tornesch. Vermutlich hat ihn bereits im Jahr 2000 eine Zecke gebissen. Genau kann es weder Klaus Thies sagen noch einer der vielen Ärzte, die er im Laufe der folgenden Jahre aufsuchte, weil Schmerzen sein Leben bestimmten. Seine Leidensgeschichte begann drei Jahre später mit einem leichten Fieber. Der Tornescher (Kreis Pinneberg) fühlte sich müde, abgeschlagen, seine Gelenke schmerzten. Er litt unter Durchfall.

„Drei Jahre lang zog ich von einem Arzt zum nächsten“, sagt der 57-Jährige. Sein Hausarzt verschrieb Medikamente gegen Rheuma. Der nächste vermutete eine Nahrungsmittelunverträglichkeit. „Ein anderer bescheinigte mir sogar eine psychosomatische Störung.“ Auch von einer verschleppten Gürtelrose war die Rede. Niemand erkannte, dass ein nicht erkannter Zeckenbiss zur Spätborreliose geführt hatte. Die Schmerzen wurden immer schlimmer. Auf seinem Körper bildeten sich große rote Flecken, an den Oberschenkeln Geschwüre. Die Entzündung im Körper hatte bereits die Bandscheiben angegriffen. Ans Arbeiten war für den Ingenieur längst nicht mehr zu denken.

Jedes Jahr infizieren sich zwischen 214.000 und 800.000 Menschen neu mit dem häufig durch Zecken übertragenen Krankheitserreger Borrelia burdorferi. Verlässliche Daten gibt es nicht, denn anders als bei Frühsommer-Meningoenzephalitis, kurz FSME, ist Borreliose nur in einigen Bundesländern meldepflichtig. Schleswig-Holstein und Hamburg gehören nicht dazu. Nach einem Bericht der Weltgesundheitsorganisation WHO sind sechs Prozent der Bundesbürger mit Borrelien infiziert. Laut Robert Koch-Institut soll jedes 14. Kind in Deutschland betroffen sein.

Die Multiorganerkrankung geht mit einem diffusen Krankheitsbild einher, was häufig zu Fehldiagnosen wie zum Beispiel Multiple Sklerose, Rheuma oder Arthritis führt. Wenn eine gut sichtbare Wanderröte fehlt (sie tritt nur bei 50 Prozent aller Erkrankten auf), ist Borreliose schwer zu diagnostizieren. Auch gibt es keine verbindliche Inkubationszeit. Bis zum Auftreten erster Symptome können Wochen, Monate oder sogar Jahre vergehen.

Verzweifelt recherchierte Thies selbst im Internet. „Schließlich stieß ich auf Borreliose“, sagt er. Viele seiner Symptome sah er bestätigt. Thies ließ sich sich auf Borrelien-Erreger testen. Der erste Test war negativ. Die Bluttests (ELISA, Westernblot) sind allerdings nicht standardisiert und unzuverlässig. Thies lässt sich nicht abwimmeln: „Ich ließ mich bei einem anderen Arzt ein zweites Mal testen – diesmal positiv.“ Drei Jahre nach dem ersten Arztbesuch hatte er endlich eine Diagnose.

Doch während Borreliose im Frühstadium gut zu behandeln ist, standen die Ärzte der weit fortgeschrittenen Krankheit zunächst hilflos gegenüber. Thies schluckte vier Wochen Antibiotika – nicht lange genug, denn die Borreliose verschwand nicht. Erst 2007 fand er endlich einen Arzt, der ihn über einen langen Zeitraum mit hoch dosierten Antibiotika-Infusionen heilte. Seine Krankenkasse erkannte die Therapie nicht an, weigert sich, die Kosten zu tragen. Mit ihnen befindet er sich im Rechtsstreit. Denn, nachdem Thies auf erster Instanz recht bekam, ging die Krankenkasse mit Sitz in Stuttgart in Berufung. Der Prozess läuft.

Die Situation für Borreliose-Patienten ist schwierig. Die Bakterien können nicht direkt nachgewiesen werden. Die Labortests können nur Antikörper gegen Borrelien messen. Medizinische Langzeitstudien fehlen. Auch die Therapie gegen Borreliose ist besonderes bei der späten und chronischen Form schwierig. Welches Antibiotika schlägt in welcher Dosierung an? Borreliose kann zu langwierigen Krankheitsverläufen führen, weil es bis heute keinen Impfschutz, keine standardisierte zuverlässige Diagnostik und keine sicher heilende Therapie gibt.

Um Erkrankten besser zu helfen, hat sich das Aktionsbündnis gegen zeckenübertragene Infektionen Deutschland „OnLyme-Aktion.org“ gegründet, dessen Mitbegründer Klaus Thies ist. In einem offenen Brief an Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr machten er und seine Mitstreiter 2013 auf die „katastrophale Versorgungslage von Borreliose-Patienten“ aufmerksam. Ihrer Initiative ist es auch zu verdanken, dass Borreliose seit 2013 zum Beispiel in Mecklenburg-Vorpommern meldepflichtig ist. Noch sind es vor allem die neuen Bundesländer, die der Forderung des Vereins folgen.

Protestaktion: Am 17. Mai ruft das Aktionsbündnis gegen zeckenübertragene Infektionen Deutschland „OnLyme-Aktion.org“ in fünf Städten zu Protesten auf. Gemeinsam mit Betroffenen weltweit fordert der Verein unter dem Titel „(Be)-Handelt endlich!“ verstärkte Forschung, standardisierte Tests und Langzeittherapie-Studien für Borreliose. In Hamburg wird es in der Spitalerstraße von 9.30 bis 19 Uhr eine Mahnwache mit Infostand geben. Weitere Infos unter www.OnLyme-Aktion.org.