Lebensraum der Tiere schwindet zunehmend. Schleswig-Holstein ist für sie ein wichtiger Zufluchtsort

Kiel. Das Wattenmeer ist weltweit einmalig. Die Nationalparks in Schleswig-Holstein, Hamburg und Niedersachsen sind weitgehend in ihrem ursprünglichen Zustand erhalten, es ist das vogelreichste Gebiet Europas und Deutschlands bedeutendster Naturraum. Ringel- und Nonnengänse rasten hier zu Tausenden, um sich zu stärken auf dem Weg von Sibirien nach Afrika.

Die norddeutsche Tiefebene ist ein wichtiges Winterquartier für arktische Wildgansarten. 80 Prozent des nordeuropäischen Bestands der Brandgans versammelt sich im Sommer zur Mauser auf Sandbänken vor der Elbmündung. Sie und viele andere Wandervögel wie Sterntaucher, Rohrdommel und Krickente, die auf ihren Zügen in Norddeutschland haltmachen, sind heute gefährdet. Die Brandgans, der Seeregenpfeifer, die Lachseeschwalbe und die Sumpfohreule könnten bald sogar komplett aussterben. Ihnen kommen die Rastplätze abhanden. Sie stehen daher mit 71 Arten und Unterarten auf der ersten Roten Liste wandernder Vogelarten für Deutschland.

Vorgelegt hat diese Liste jetzt der Deutsche Rat für Vogelschutz (DRV). Demnach sind 23 Prozent aller in Deutschland regelmäßig rastenden wandernden Vogelarten betroffen. Bisher wurden nur Brutvögel auf der Roten Liste erfasst.

„Es ziehen jährlich etwa 500 Millionen Zugvögel über Deutschland, von denen nur ein kleiner Teil auch bei uns brütet. Deswegen ist es wichtig, die rastenden Exemplare ebenfalls zu berücksichtigen“, sagt Hans-Günther Bauer von der Vogelwarte Radolfzell. Der Koordinator des Rote-Liste-Gremiums für Vögel und Mitautor der Liste hat jahrzehntelang mit nationalen und internationalen Vogelschutzverbänden an der Liste gearbeitet. „Wir haben bereits in den 1970er-Jahren versucht, diese Rubrik in die Rote Liste mit aufzunehmen. Uns fehlten damals aber genaue Daten, um Aussagen über die Gefährdung von nur rastenden Vögeln zu machen.“ Auch eine zentrale und professionell strukturierte Einrichtung auf Bundesebene habe gefehlt.

Mittlerweile ist der Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) die zentrale Einrichtung. Mithilfe der ornithologischen Fachverbände der Bundesländer, den Vogelschutzwarten, dem Bundesamt für Naturschutz (BfN), der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft (DO-G) und dem DRV konnten in den vergangenen Jahren die nötigen Daten gesammelt und ausgewertet werden. „Allein das Erstellen der Liste hat vier Jahre gedauert“, sagt Bauer. Ein großer Teil der 500 Millionen durch Deutschland ziehenden Vögel passiert Schleswig-Holstein. Noch finden die Tiere hier Plätze, an denen sie sich für die Weiterreise rüsten können. „Wenn sie sich Winterspeck anfressen oder ihr Federkleid wechseln, brauchen sie einen sicheren Ort mit reichlich Nahrung“, sagt Hans-Günther Bauer. Besonders die Küsten seien solche Zufluchtsorte. „Deswegen nimmt Schleswig-Holstein eine international bedeutende Rolle im Zugvogelschutz ein“, sagt Johannes Wahl vom DDA. In den kommenden Jahren werde der Lebensraum dort aber durch den Bau von Offshore-Windparks etwa für den Sterntaucher eingeschränkt. Auch andere Ursachen wie Lebensraumverlust oder -verschlechterung durch intensive Landwirtschaft, Jagd, Wilderei und Vogelschlag bis hin zu Störungen durch Menschen, Klimawandel und Räubertum, gefährden die Existenz der Vögel. Die Vogelschützer sind deswegen auch auf Hilfe anderer Staaten angewiesen.

Der Nabu und der Landesbund für Vogelschutz (LBV) fordern nun, bestehende Abkommen mit Ländern außerhalb Europas besser umzusetzen. Ein wichtiger Schritt Richtung Vogelschutz ist die „Wadden Sea Flyway Initiative“ (WSFI), die eine engere Zusammenarbeit zwischen den Wattenmeerstaaten Dänemark, Deutschland und Niederlande und Ländern entlang der gesamten ostatlantischen Vogelzugroute vorsieht. Mit der Ernennung des Wattenmeers zum Unesco-Weltnaturerbe im Jahr 2009 wurden die Wattenmeerstaaten zu dieser Kooperation aufgefordert.

Die Rote Liste kann unter bzv@lbv.de für 15 Euro bestellt werden. Unter drv-web.de und nabu.de gibt es im Internet eine Zusammenfassung.