War die Schließung auf Sylt nur der Anfang? Weil in Schleswig-Holstein immer weniger Kinder zur Welt kommen, stehen viele Geburtshilfestationen vor dem Aus. Das Land sucht nach neuem Klinikkonzept.

Kiel. Die Zahl der Geburtshilfestationen in Schleswig-Holstein wird in Zukunft weiter sinken. Diesen Schluss lassen Äußerungen der Landesregierung zu. Ursache dieser Entwicklung sind die Geburtenzahlen. Während im Jahr 2002 noch 24.915 Kinder in Schleswig-Holstein auf die Welt kamen, waren es 2011 nur noch 21.331 Kinder. Das ist ein Rückgang um 14,4 Prozent.

Der Landtag hat mittlerweile beschlossen, ein Konzept zur Neuordnung der Geburtshilfe im Land erstellen zu lassen. Die FDP-Landtagsabgeordnete Anita Klahn, Mitglied im Sozialausschuss, sagt: „Ich befürchte, dass nach der Sylter Geburtshilfestation in Zukunft noch weitere Einrichtungen geschlossen werden müssen.“ Sylterinnen müssen sich seit dem Jahreswechsel zum Gebären aufs Festland begeben.

In dem Bericht der Landesregierung heißt es: „Geburtskliniken geraten in eine schwierige Situation, wenn sie die Bedingungen für eine sichere Geburt nicht mehr erfüllen können.“ Und weiter: „Ein Zusammenhang von Fallzahlen in der Geburtshilfe und Qualität in der Versorgung ist auch durch wissenschaftliche Studien belegt. Geringere Fallzahlen geben dem Personal weniger Möglichkeiten für qualitätsgesicherte Ablaufprozesse.“ In der Tat sind die Fallzahlen an den insgesamt 21 Krankenhäusern mit Geburtshilfestationen sehr unterschiedlich.

An der Spitze liegt das städtische Krankenhaus in Kiel mit 1713 Geburten im Jahr 2012, gefolgt vom Flensburger Diakonissenkrankenhaus (1673 Geburten). Am unteren Ende rangieren unter anderem die Segeberger Kliniken (648), das Johanniter-Krankenhaus in Geesthacht (583), die Helios-Klinik in Schleswig (510), die Klinik Preetz (340), das DRK-Krankenhaus in Ratzeburg (321), die Sana Kliniken in Oldenburg (218) und die Inselklinik auf Föhr (45). Im Mittelfeld sind das Reinbeker Krankenhaus (774) und die Paracelsus-Klinik in Henstedt-Ulzburg (870) zu finden.

In der Wissenschaft gilt es als unumstritten, dass die Säuglingssterblichkeit in einer Klinik, die viele Geburten vornimmt, deutlich geringer ist als in einer Klinik mit wenig Geburten. In einem Aufsatz in der Monatsschrift Kinderheilkunde, der die Ergebnisse mehrerer Studien zusammenfasst, heißt es: „Seit vielen Jahren sinkt die Säuglingssterblichkeit und lag zuletzt bei 0,38 Prozent (2006). Allerdings ist sie zum Beispiel in Schweden kontinuierlich niedriger (2006: 0,28 Prozent). Obwohl dieser Unterschied klein zu sein scheint, bedeutet er, dass in Deutschland derzeit etwa 650 Säuglinge pro Jahr sterben, die bei einer Rate wie in Schweden überleben würden.“ Die Zahl der Geburten in der jeweiligen Station spiele dabei eine wesentliche Rolle. „Fand die Geburt von normalgewichtigen Säuglingen in einer Klinik mit weniger als 500 Geburten pro Jahr statt, war das Risiko zu versterben um den Faktor 3,5 erhöht im Vergleich zu einer Klinik mit mehr als 1500 Geburten.“

Wobei die Autoren des Artikels nicht den Eindruck erwecken wollen, bei 500 Geburten sei alles gut. Selbst die durchschnittliche Zahl von 700 bis 800 Geburten pro Klinik in Deutschland sei im Vergleich zu europäischen Ländern oder zu Nordamerika niedrig. Portugal habe seine hohe Sterblichkeitsrate dadurch senken können, dass alle Kliniken mit weniger als 1500 Geburten geschlossen worden seien. Von einstmals 200 seien 51 Einrichtungen übrig geblieben. Von diesem Vorgehen ist Schleswig-Holstein noch weit entfernt. Zwar sind in den vergangenen Jahren schon mehrere Geburtshilfeabteilungen geschlossen worden – neben Sylt waren auch Bad Oldesloe, Elmshorn und Mölln betroffen –, aber dabei ging es nicht immer um Qualitätsprobleme, sondern auch um die Frage der Wirtschaftlichkeit. „Wenn die Wirtschaftlichkeit das Problem ist, könnte das Land helfen“, sagt die Landtagsabgeordnete Anita Klahn. „Wir müssen uns schon die Frage stellen, was wir den schwangeren Frauen in Schleswig-Holstein zumuten wollen. Es ist ein Problem, wenn man für die Geburt in ein Krankenhaus muss, das sehr weit vom Wohnort entfernt liegt.“

Die Frage ist nur, welche Entfernung zumutbar ist. Das Kieler Gesundheitsministerium hat es so formuliert: „Die Landesregierung hält es nicht für sinnvoll und möglich, für ein Flächenland wie Schleswig-Holstein einschließlich seiner Inseln und Halligen maximale Anfahrtswege für eine Geburtshilfe zu benennen. Zudem müssen die Frauen eine für ihr persönliches medizinisches Risiko adäquate Einrichtung aufsuchen.“ Und weiter: „Sicherheit für Mutter und Kind sind wichtiger als eine schematische Entfernungstabelle.“