Bastian Langbehn, erster Abgeordneter der Satirepartei Die Partei, sorgt sich um Lübeck und ärgert sich über Kollegen. Auch der Arbeitsrhythmus der Bürgerschaft passt Langbehn nicht in den Kram.

Lübeck. Nein, Atomtests in der Wakenitz hat es nicht gegeben. Man könnte sogar behaupten: Es hat sie noch nie gegeben. Neu ist eigentlich nur, dass in der Lübecker Bürgerschaft jetzt erstmals eine Partei sitzt, die explizit fordert, den idyllischen Fluss am Rande der Altstadt nicht für derartige Experimente zu missbrauchen. „Die Partei“ heißt die Partei, die der Humorist Martin Sonneborn, ehemals „Titanic“-Chefredakteur, bekannt aus der „heute show“, hat sie gegründet.

Bastian Langbehn, gefühlte 30, ist gewissermaßen der legale Arm dieser Politikveralberungsorganisation: der erste und deutschlandweit einzige „Partei“-Abgeordnete. Im vergangenen Juni ist er in die Bürgerschaft eingezogen.

Da sitzt er nun. Und könnte sich damit brüsten, das Wahlprogramm erfüllt zu haben. Keine Atomtests in der Wakenitz! Aber Langbehn, eben noch für jeden Spaßparteischerz zu haben, leidet nach sechsmonatiger Mandatsträgerschaft schwerster Art spürbar unter Humorverlust. Langbehn macht jetzt das, was seine Parteifreunde durch den Kakao ziehen: Politik.

Langbehn ärgert sich über das, was die lustig finden: Die kleinlichen Scharmützel in der Bürgerschaft, das alberne Lagerdenken, das Regierung und Opposition schärfer voneinander trennt als der Fußballfanatismus die HSVer und die St. Paulianer. Langbehn wühlt sich tatsächlich stundenlang durch einen zweieinhalb Ordner dicken Haushaltsentwurf, statt ihn mit einem knappen Bonmot in der Luft zu zerreißen. Was ist da schiefgelaufen?

„Ich weiß wirklich nicht, ob ich das alles wissen will, was ich jetzt weiß“, stöhnt er. „Manchmal komme ich mit Bauchschmerzen nach Hause.“ Vollständig ironiefrei gesagt: Er sorgt sich um das Wohl der kleinen Hansestadt. So manches geht ihm gepflegt auf den Zeiger. Zum Beispiel der Umgang mit Geld. 1,13 Millionen Euro hat die Stadt ausgegeben, um den Amtssitz der Kultursenatorin Annette Borns zu sanieren. „Weil der Senatorin die Fassadenfarbe nicht gefiel, ist es noch mal teurer geworden“, regt sich Langbehn in Buchhaltermanier auf – statt der kunstsinnigen Frau Borns vorzuschlagen, die 250 Jahre alte Stadtvilla doch am besten wöchentlich umdekorieren zu lassen.

Der Seniorenbeirat, nörgelt der Mandatsträger weiter, habe zu viel Einfluss in Lübeck . „Man hat das Gefühl, die ganze Stadt besteht nur aus Senioren“, sagt er. Sogar im Jugendhilfeausschuss habe der Beirat Sitz und Stimme. „Nichts gegen Senioren“, sagt Langbehn, „aber was ist denn mit den Junioren? Einen Juniorenbeirat gibt es nicht einmal in Lübeck.“ Da fehle das Gegengewicht, erklärt der Abgeordnete staatstragend – statt die Hansestadt zur Seniorenstadt zu erklären und die Pflegesätze für Neubürger anzuheben.

Personalpolitik! Das nächste Thema, das Langbehns Zornesader anschwellen lässt. Bei städtischen Stellenausschreibungen bekommen Bewerber mit SPD-Parteibuch ganz gern mal den Zuschlag – selbst wenn die Qualifikation nicht die beste sein sollte. „Das fasst man nicht“, sagt Langbehn. Ist da tatsächlich jemand ernstlich empört, denkt man sich? Statt den Kandidaten auf praktische Weise zu helfen? Zum Beispiel mit dem Tipp, dass es in der Lübecker Stadtbücherei möglicherweise eine Parteibuchausleihe gibt?

Auch der Arbeitsrhythmus der Bürgerschaft passt Langbehn nicht in den Kram. „Wir tagen nur siebenmal im Jahr“, sagt er. „Aber wir kriegen das ganze Jahr hindurch Aufwandsentschädigung.“ Sobald Ferien seien, werde alle Arbeit von sich geworfen. „Aber das Geld läuft weiter, 269 Euro im Monat.“ Das mit den sieben Sitzungen habe sich so eingebürgert, hätten die anderen Bürgerschaftsabgeordneten gesagt. Sondersitzungen in den Ferien?! Bloß nicht! Abgelehnt. „Da sind die ganz sensibel“, sagt Langbehn – statt sich darüber zu freuen, dass seiner Seniorenstadt ein paar ausgiebige Politikerholungspausen gegönnt werden.

Und dann diese Machtabsicherung! Die findet Langbehn „zum Kotzen“. Die rot-grüne Koalition im Lübecker Rathaus hat nur deshalb eine Einstimmenmehrheit, weil der fraktionslose Abgeordnete Bruno Böhm mitmacht. „Ich glaube, der hat sieben Vorstandsposten bekommen“, sagt Langbehn. „Und eine eigene Spalte in der Stadtzeitung. Der Mann wird so hofiert, das gibt es gar nicht.“ Gewiss, das ist alles nicht schön. Aber wäre es nicht besser, dem Herrn Böhm vor der versammelten Bürgerschaft eine Krone zu schenken und einen Hermelinmantel?

Keine Frage: Diese süße, leicht klebrige Lübecker Marzipan-Demokratie hat Langbehn ganz schön politisiert. Doch er muss mal raus aus der Ernsthaftigkeit, findet er. „Jetzt ist Ende der Schonzeit“, verkündet er. Kehrtwende.

Von nun an will der legale Arm der Partei im spaßigen „Die-P,artei-Stil“ weitermachen. Langbehns erster Fausthieb soll dieser Antrag werden: „Die Bürgerschaft möge beschließen, dass dem Bürgermeister Bernd Saxe der Rotspon, das Marzipan und die Zigaretten gestrichen werden, bis er die Haushaltsabschlüsse für die Jahre 2010 bis 2012 vorgelegt hat.“

Es ist der Versuch, ein ernsthaftes Anliegen (Arbeit an den immer noch fehlenden Etatabschlüssen beschleunigen) mit einer spaßigen Askese-Androhung zu verbinden. Vielleicht muss Langbehn das jetzt tun, um einem Parteiausschlussverfahren zu entgehen. Wahrscheinlich bleibt dem ersten Realo unter lauter fundamentalistischen Spaßparteimitgliedern gar nichts anderes übrig. „Partei“-Soldat Langbehn spürt die Knute des Witzelzwangs.