Im A-Rosa in List auf Sylt bekam nach dem La Mer auch das Spices die begehrte Auszeichnung des „Michelin“ – und schaffte damit, was sonst keinem Haus in Europa gelungen ist.

List. Ein Hotel, zwei Restaurants und drei Sterne im Gourmet-Führer „Michelin“: Das hat als einziges Haus in Europa das A-Rosa in List auf Sylt fertiggebracht, ein sogenanntes Grand Spa mit Mega-Wellnessbereich und 180 Zimmern und Suiten. Seit Donnerstag leuchten nicht nur über dem Gourmetrestaurant La Mer zwei Sterne, die Sebastian Zier erkocht hat, sondern auch einer über dem Restaurant Spices, in dem Sarah Henke Regie führt.

Die 30-Jährige überzeugt mit einer innovativen, fantasievollen und hocharomatischen Küche, die man asiatisch inspiriert nennen muss. Sarah Henke ist zwar Koreanerin, aber als Adoptivkind bei einem Lehrerehepaar in Niedersachsen aufgewachsen. Sie hat in Deutschland gelernt und wurde von ihrem Förderer Frank Nagel, der zur Zeit der A-Rosa-Eröffnung 2010 Direktor war, im Drei-Sterne-Restaurant von Sven Elverfeld im Wolfsburger Aqua entdeckt. Nagel plante ein asiatisches Restaurant, weil es das auf der Insel noch nicht gab, und ließ Sarah Henkes Einwand, sie habe noch nie asiatisch gekocht, nicht gelten. Sie werde es schon schaffen. Und sie schaffte es.

Sie hat sich eingeschmeckt und eingelesen, hat probiert und verworfen und von Neuem probiert. „Ich habe mir dann aufgeschrieben, was meiner Meinung nach Aromen und Zutaten der asiatischen Küche sind, welche Gemüse, welche Kräuter und Gewürze zu verschiedenen Fisch und Fleischsorten passen, wie man sie kombinieren kann, in welchen Texturen und Konsistenzen. Am Ende hat es geklappt“, sagt sie. In der Tat. Als sie vom Stern erfuhr, flossen Tränchen. Aber richtig begriffen hatte sie es erst, als Hoteldirektor Gordon Debus die Champagnerkorken fliegen ließ und Kollegen anriefen, um zu gratulieren.

Spekuliert worden war immer mal wieder, ob es einen Stern geben könnte, „aber wirklich dran geglaubt haben wir nicht“, sagt Debus. „Das Konzept des Spices ist ja wirklich speziell.“ Der Raum ist klein, hat eine Sushi-Bar und eine offene Küche, einen Buddha-Kopf, Orchideenblüten und eine Steinlaterne als Dekoration, eine grüne Wand mit den verschiedensten Kressesorten. Auf den Tischen Sets statt Decken, schwarzes Steingut, Edelstahl-Bestecke und Stäbchen, die Beleuchtung ist schummrig-gemütlich. Nicht gerade eine klassische Restaurant-Ausstattung für einen Michelin-Stern.

Den gibt es eher für feines Essen, meist auf Basis der französischen/italienischen Hochküche, auf edlen Tischdecken und Porzellantellern, begleitet von Silber und schwerem Kristall. „Es war auch unsicher, ob ,Michelin‘ zwei Restaurants in einem Haus auszeichnen würde“, sagt Hoteldirektor Debus. „Das gab es noch nie.“

Nun gibt es das. Doch bei Horst Rahe trifft der Stern, bei aller Anerkennung für die Köchin, auf verhaltene Begeisterung. Der Hamburger Eigentümer der Deutschen Seereederei (DSR), zu der die A-Rosa-Gruppe mit vier Häusern (außer in List noch in Travemünde, Bad Saarow und Kitzbühel) gehört, ist gerade dabei, mit seinen Küchenchefs neue Konzepte für die Sterne-Restaurants zu erarbeiten. Der Grund: Die Gästefrequenz könnte höher sein – etwas, das sich viele besternte Restaurants wünschen.

„Wir befinden uns im Umbruch“, sagte ein Zwei-Sterne-Koch dem Abendblatt. „Das Ambiente ist oft zu steif. Viele potenzielle Gäste haben Schwellenangst, sie schrecken vor teuren Menüs zurück. Vor allem in Ferienhotels. Da möchten sie ohne Krawatte, gern in Turnschuhen und Pullover kommen, vielleicht zwei, drei Gänge essen und sich entspannen.“ Das sieht auch Thomas Martin so, Zwei-Sterne-Koch im Louis C. Jacob, das Rahe und seiner Familie gehört. „In New York sitzen die Leute eng am Tresen oder an blanken Tischen und essen ihr Sterne-Essen mal eben so.“ Das sei nichts für das stets gut gebuchte Traditionsrestaurant Jacob.

Aber über eine Lockerung der Atmosphäre, vor allem in Ferienhotels, müsse man nachdenken. Rahe tut es. „Das mutige Gastronomiekonzept des Spices hat den Nerv und die Wünsche der Gäste getroffen“, ließ er verlauten. „Das kann ein Vorbild für die anderen Gourmetrestaurants der Gruppe sein.“

Insgesamt hat der „Michelin“ in Deutschland Sterne an 274 Restaurants verteilt. Das sei ein Rekord und bedeute innerhalb von fünf Jahren eine Steigerung um mehr als 25 Prozent, sagte Ralf Flinkenflügel, Chefredakteur des „Michelin“. Damit gibt es nun 226 Restaurants mit einem Stern, 37 mit zwei Sternen und elf mit drei Sternen.

Unter den 39 Küchenchefs, die sich zum ersten Mal einen Stern erkochten, sind drei Frauen: neben Sarah Henke auch Caroline Baum im Reisers am Stein in Würzburg und Maria Groß im Clara-Restaurant im Kaisersaal in Erfurt. Die Hamburgerin Anna Sgroi hat sich in ihrem gleichnamigen Lokal einen Stern zurückgeholt.