In mindestens sieben Fällen sollen Publizisten in Niedersachsen in der Datei gelandet sein, obwohl es keinen Extremismusbezug gab. Für Innenminister. Pistorius ist klar: „Es handelt sich um einen ernsten Vorgang.“

Hannover. Einen offenkundig massenhaften und systematischen Rechtsbruch, ausgerechnet durch den Verfassungsschutz, ausgerechnet im Umgang mit der Pressefreiheit, hat der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) öffentlich gemacht. Die Behörde hat, wie der Minister am Mittwoch in Hannover erläuterte, in den vergangenen Jahren Daten von mindestens sieben Journalisten erhoben und gespeichert, obwohl es gegen diese überhaupt keinen Extremismusverdacht gab.

Und die Behörde hat in mindestens einem beweisbaren Fall den Anwalt der betroffenen Journalistin Andrea Röpke belogen, als der Anfang 2012 wissen wollte, ob Daten über seine Mandantin gespeichert worden sind.

Boris Pistorius ist seit dem Regierungswechsel in Niedersachsen Ende Februar Innenminister. Er schickte umgehend den bisherigen Verfassungsschutzchef Hans-Werner Wargel in den Ruhestand und ersetzte ihn durch die bisherige Pressesprecherin der Behörde, Maren Brandenburger. Die wiederum begann umgehend mit stichprobenartigen Überprüfungen und wurde fündig. In den Fokus gerät damit fast automatisch der frühere Innenminister Uwe Schünemann, der nach der Landtagswahl im Januar gehen musste. Alle Rechtsverstöße stammen aus seiner Amtszeit. „Herr Schünemann wird sich dazu erklären müssen“, forderte prompt die SPD-Fraktionsvorsitzende im Landtag, Johanne Modder.

Der Ex-Minister, der bei der Landtagswahl auch sein Abgeordnetenmandat verloren hat, kandidiert am kommenden Sonntag für das Amt des Landrates im Landkreis Hameln-Pyrmont.

Die Diplom-Politologin und freie Journalisten Andrea Röpke gilt als besonders kenntnisreiche Berichterstatterin über Rechtsextremismus, ist dafür mehrfach ausgezeichnet worden. Der Verfassungsschutz aber speicherte über sie sechs Jahre lang Daten. Die wurden allerdings rasch gelöscht, als ihr Anwalt genau nach solchen Daten fragte. Dem Anwalt wurde lapidar mitgeteilt, es gebe keine Daten. Details über die anderen betroffenen Journalisten sind bislang nicht bekannt. Bekannt ist allerdings, dass der niedersächsische Verfassungsschutz schon einmal, im Jahr 2011, die entsprechende Datensammlung über einen anderen Göttinger Journalisten erst komplett leugnete und dann einen Teilrückzieher machte. Auch der Göttinger Hörfunkredakteur gilt als Experte für Rechtsextremismus.

Für Pistorius ist klar: „Es handelt sich um einen ernsten Vorgang. Die Pressefreiheit ist ein hohes Gut, das vom Grundgesetz geschützt ist“. Folgerichtig sollen nun beim Verfassungsschutz in Hannover alle 9000 Datensätze über Personen „systematisch und vollständig“ geprüft werden, ob sie überhaupt zulässig sind. Der Minister geht davon aus, dass weitere Fälle von rechtswidrigen Speicherungen aufgedeckt werden. Völlig offen ist, ob es für beteiligte Mitarbeiter arbeitsrechtliche oder sogar strafrechtliche Konsequenzen geben wird. Die Gesetzeslage zumindest ist eindeutig, etwa beim wahrheitswidrigen Bestreiten, dass es eine solche Datensammlung gab wie im Falle Röpke. Ihr Anwalt Sven Adam prüft bereits gerichtliche Schritte.

Innenminister Pistorius geht von bewusster Vertuschung aus und nennt die Vorkommnisse „eklatante Versäumnisse des Verfassungsschutzes“.