Von Euphorie ist bei Rot-Grün in Niedersachsen wenig zu spüren. Der knappe Wahlsieg am 20. Januar mit nur einer Stimme Mehrheit im Landtag reicht allein als Erklärung aber nicht aus. CDU schmollt noch.

Hannover. Als im Jahr 2003 CDU und FDP in Niedersachsen die Macht eroberten, gab es eine spürbare Aufbruchsstimmung, die über Jahre trug. Seit genau 100 Tagen regiert jetzt stattdessen eine rot-grüne Koalition in Hannover - aber von Euphorie ist wenig zu spüren. Der denkbar knappe Wahlsieg am 20. Januar mit nur einer Stimme Mehrheit im Landtag reicht allein als Erklärung nicht aus. Der neue Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) inszeniert sich und die Landesregierung betont unaufgeregt, fast routiniert: Gekommen, um zu bleiben, lautet die Botschaft.

Ausgerechnet der grüne Landwirtschaftsminister Christian Meyer ist so etwas wie die Ausnahme von der Regel. Er hat bereits erste Kurskorrekturen beim Stallbau für die Massenviehhaltung auf den Weg gebracht, verschärft die Kontrollen in der Lebensmittelerzeugung und vermittelt vor allem den Eindruck, dass ihm der Job ungeheuren Spaß macht.

Ministerpräsident Stephan Weil dagegen tritt seit seiner Wahl am 19. Februar auf, als sei er immer schon da gewesen und hätte nicht wenige hundert Meter weiter im hannoverschen Rathaus an deutlich kleineren Rädern gedreht. Sogar seine erste echte Schlappe sitzt er betont gelassen aus. Im Wahlkampf hatte er versprochen, mit ihm als Regierungschef werde es keine weitere Erkundung des Standortes Gorleben auf Eignung als Endlager für hoch radioaktiven Müll geben. Jetzt bleibt Gorleben bei der von einer großen Koalition auf Bundesebene angestrebten neuen Endlagersuche doch "im Topf" und es steht in den Sternen, ob es wenigstens dabei bleibt, dass die letzten 26 Castoren aus dem Ausland nicht in Gorleben landen sondern anderswo untergebracht werden. Platzt das Endlagersuchgesetz, rückt Gorleben erst recht wieder in den Mittelpunkt aller Diskussionen.

Bei der leichteren Gründung neuer Gesamtschulen macht die neue Landesregierung Nägel mit Köpfen, bei allen anderen großen Vorhaben aber tragen SPD und Grüne die Notwendigkeit eines ausführlichen Dialogprozesses wie eine Monstranz vor sich her. Ob die Küstenautobahn A 20 inklusive Elbquerung gebaut wird, wie Not leidenden Kommunen künftig geholfen werden soll, wie Niedersachsen seinen Nachholbedarf an Studienplätzen verringern will - die neue Mehrheit im Landtag denkt demonstrativ nach, organisiert Bestandsaufnahmen, als habe sie in Oppositionszeiten nicht reichlich konkrete Vorschläge unterbreitet zu genau diesen Problemfeldern.

Regelrecht nachtaktiv ist die neue Mehrheit dagegen bei der Absicherung der eigenen Macht. Gleich drei Polizeipräsidenten wurden bereits in den einstweiligen Ruhestand geschickt, Abteilungen werden umgekrempelt. Und Regierungschef Weil hat in der Staatskanzlei mit Birgit Honé noch eine zweite Staatssekretärin installiert. Sie ist für die Regionalpolitik zuständig - und wohl dafür, tüchtig in andere Ministerien hineinregieren zu können.

Die neue Langsamkeit frustriert die Opposition. "Wann fängt Weil eigentlich an, richtig zu arbeiten?", fragt CDU-Oppositionsführer Björn Thümler empört. Diese Frage aber könnte man auch ihm stellen: Bislang macht die CDU nicht den Eindruck, als habe sie die knappe Wahlschlappe schon verdaut. Objektiv hinderlich fürs Einfinden in die neue Rolle ist auch, dass der ehemalige Ministerpräsident David McAllister in der zweiten Reihe im Landtag sitzt und immer noch vor allem eines signalisiert: Die Welt ist ungerecht. Immerhin hat er inzwischen verraten, dass er Französisch büffelt. Also kann die CDU-Fraktion darauf hoffen, dass er die Spitzenkandidatur für die Europawahl im kommenden Jahr akzeptiert und das Feld räumt für einen Neuanfang.

Wie der Umgang mit einer Niederlage auch funktionieren kann, macht die kleine FDP der großen CDU vor. Ihre Abgeordneten - darunter zwei Ex-Minister - machen fröhlich Opposition, nehmen also die Niederlage sportlich. Das fällt ihnen auch deshalb leicht, weil McAllister ihnen mit seiner - am Ende strategisch gescheiterten - Leihstimmenkampagne ein Superergebnis beschert hat. Mit fast zehn Prozent der Wählerstimmen und 14 Abgeordneten bekommt die Fraktion viel Geld für Personal. Dem Ministerpräsidenten drückte der FDP-Abgeordnete Jörg Bode am Mittwoch bei der Generaldebatte über die ersten 100 Tage eine nachgemachte Kreditkarte in die Hand: "Desaster-Card" steht darauf, ein Hinweis auf die geplanten neuen Schulden.

An dem Regierungschef aber perlt das ebenso ab wie die Attacken in der Sache. Der Fußballfan sieht sich erklärtermaßen als Langstreckenläufer und das nicht nur im politischen Sinne des Wortes. Im Landtag warb er in der Generaldebatte bei der CDU dafür, doch möglichst bald wieder mit einer eigenen Mannschaft an den regelmäßigen Fußballturnieren des Landtages teilzunehmen - ein Plädoyer für Normalität, die der CDU derzeit noch sichtlich schwer fällt.