Lauenburgs Wahrzeichen liegt fest: Die Crew der “Kaiser Wilhelm“ hält den Ausflugsdampfer für nicht mehr fahrtüchtig. Es fehlen Maschinist, Heizer und viele andere Helfer.

Lauenburg . 113 Jahre lang hat die "Kaiser Wilhelm" ihre grauweißen Wolken in den Himmel gepustet. Erst als Passagierschiff auf der Oberweser, seit 1970 auf der Elbe. Jetzt liegt der kohlebefeuerte Raddampfer auf dem Elbwasser in Lauenburg und bewegt sich nur, wenn Wellen ihn schaukeln. Die Saison hätte voriges Wochenende starten sollen, doch die Besatzung weigert sich zu fahren. Sie meutert. Aber nicht gegen den Kapitän. Denn der meutert selbst.

Detlef Bülow, Berliner, hat noch nie ein Blatt vor den Mund genommen. Der gelernte Binnenschiffer mag es gerade heraus. 31 Jahre lang ging das gut. Zusammen mit Ernst Schmidt hielt er die Mannschaft zusammen. Doch mittlerweile haben die beiden nicht mehr nur Gleichgesinnte um sich herum.

40 Jahre war das so. Da war die Kaiser-Truppe ein fröhlicher Haufen Männer mit ein paar Frauen, die in ihrer Freizeit Kohlen geschleppt, Kuchen gebacken und Karten geknipst haben. Ehrenamtlich. Jetzt weigern sie sich, das zu tun, was sie in den vergangenen Jahrzehnten in dieser Jahreszeit getan haben: den Raddampfer flottzumachen für seine erste Fahrt. Schatzmeister Markus Tonn nach 40 Jahren, Horst Klemens, berechtigt zum Kessel- und Dampfbetrieb, im 40. Jahr. Wenn er über den Zustand des Schiffes spricht, fällt das Wort "katastrophal", im Hinblick auf eine Abstimmung im Verein "gekauft".

Begonnen hat der Zerfall dieser Wahlfamilie offensichtlich vor zwei Jahren. Der Kessel hatte einen Schaden, die Entscheidung stand an: Reparatur? Neuer Kessel? Betriebspause? Lager bildeten sich, aus Urgesteinen und Frischlingen. Die einen wollten eine genaue Untersuchung, Kostenvoranschläge, Grundrevision. Die anderen wollten keine Saison aussetzen.

Die "Kaiser Wilhelm" ist einer von vier kohlebefeuerten Raddampfern in Europa, 1899 bis 1900 in Dresden gebaut. Unfallfrei hat der Dampfer seit 1970 rund 200.000 Fahrgäste über die Elbe geschippert. Doch jetzt fresse sich Rost durch die Bordwände, Löcher seien bloß übergeklebt worden, sagt Horst Klemens. "Die Mannschaft warnt seit Jahren, dass die Schäden repariert werden müssen. Doch nichts ist passiert, wir wurden immer wieder vertröstet."

Da nicht der Verein für Schäden während der Fahrt aufkommen würde, sondern die Mannschaft, hat sie die Reißleine gezogen. "Wir sollten damit lostuckern, als wenn nichts ist", sagt Klemens. "Das Schiff fasst 350 Passagiere. Wir fahren nicht mehr."

Ex-Kapitän Detlef Bülow, 72, ist für sein kaiserliches Hobby zum Dauercamper in Alt Garge ein paar Kilometer stromaufwärts geworden, hat wohl 250 Tage im Jahr am Schiff gearbeitet, schätzt er. "Die Mannschaft fühlt sich betrogen", sagt der einstige Werkstattleiter einer Reederei. "Es gibt kein Vertrauensverhältnis zum Vorstand mehr."

Dass immer mehr Mitglieder städtische Angestellte sind, wurmt den Hobbyschiffer: "Wir wollen fahren, wann wir es wollen - nicht, wenn der Bürgermeister es sagt. Wir arbeiten ehrenamtlich. Die Crew hatte auf dem Schiff nichts mehr zu sagen. Das geht nicht."

Dienstältester Mann an Bord ist Ernst Schmidt gewesen, bis 2011. Er war es, der 1967 einen Verein zur Förderung des Lauenburger Elbschiffahrtsmuseums mit gegründet und 1970 die "Kaiser Wilhelm" aus Hameln nach Lauenburg geholt hat - in einer Transitfahrt durch die DDR mit einem Warenbegleitschein über "1 Stück Raddampfer".

Seit der Wende schwimmt das Schiff aus dem Kaiserreich bei seinen Ausflugsfahrten ohne Aufsehen über die einstige deutsche Grenze. "Das ist eine einmalige historische Konstellation", sagt der Historiker, Geologe und Geograf, der mit seinen 85 Jahren immer noch mit dem Rad zum Baumarkt fährt. Und bis ins Alter von 84 Jahren Betriebsleiter der "Kaiser" war - weil kein Nachfolger in Sicht war.

Markus Reich will das ändern. Der Lauenburger Reeder ist 54 Jahre alt, besitzt vier Binnenschiffe, ist seit diesem Jahr Mitglied im Verein und seit einer Woche Erster Vorsitzender. Reich setzt auf Deeskalation und will ehemalige Besatzungsmitglieder zu einem Gespräch einladen. "Ich möchte Meinungsverschiedenheiten ausräumen und hoffe auf einen Konsens. Die Belange der Crew stehen für mich an erster Stelle. Ich habe großen Respekt vor der sehr engagierten Arbeit der Älteren, kann aber nicht nachvollziehen, warum einige ihr Lebenswerk jetzt in den Dreck ziehen."

Er selbst ist Schiffsführer und will den Dampfer fahren. "Die Verkehrssicherheit ist nicht infrage gestellt. Wir haben gültige Papiere bis 2014, die Schiffsuntersuchungskommission hat keine Mängel gefunden." Das Deck sei geschliffen und gestrichen, kleinere Mängel würden derzeit behoben - "die, die Herr Bülow angemerkt hat, und andere".

Noch fehlen allerdings Maschinist, Heizer und viele andere Helfer. 150 Kilo Kohle verbraucht die "Kaiser" - pro Stunde. Das schafft keiner allein. Reich hofft trotzdem auf eine Probefahrt innerhalb der nächsten vier Wochen und sucht nach neuen Ehrenamtlichen. "Die Situation ist verfahren, aber wir arbeiten daran. Die ,Kaiser' soll das Wahrzeichen Lauenburgs bleiben."

Das Schiff ist nicht nur die erste deutsche Museumsdampferlinie, sondern von allen erhaltenen Dampfern auch derjenige, der als Einziger seit 113 Jahren ohne längere Unterbrechung fährt - bis jetzt. Im Augenblick muss es heißen: gefahren ist. Doch Markus Reich hört in seinem inneren Ohr schon das Pfeifen des Kaiserkessels - und sieht wieder grauweiße Wolken in den Himmel über der Elbe steigen.