Schleswig-Holsteins Innenminister Breitner über die rechtsextreme Szene und mangelnden Respekt gegenüber Polizisten im Norden.

Kiel. Es gibt nicht viele Innenminister, die zuvor als Polizist auf den Straßen unterwegs waren. Andreas Breitner, 45, ist der erste in Schleswig-Holstein. Der gebürtige Kieler wechselte 2000 zum ersten Mal ins Innenministerium - als Referent des damaligen Ministers Klaus Buß. 2002 wurde er zum Rendsburger Bürgermeister gewählt und blieb es zehn Jahre lang. Nach der Landtagswahl 2012 wurde der Sozialdemokrat Minister. Er ist nun für Bereiche zuständig, in denen er sich auskennt: Polizei und Kommunales.

Hamburger Abendblatt: Polizisten in Schleswig-Holstein werden immer häufiger attackiert. Die Zahl der sogenannten Widerstandshandlungen ist 2012 auf einen Rekordwert gestiegen, 1315 Fälle wurden gezählt. Womit erklären Sie sich das?

Andreas Breitner: Ich glaube, dass der Respekt gegenüber staatlichen Autoritäten generell sinkt. Das beginnt im Elternhaus, wenn Kinder nicht zur Achtung von Mitmenschen und zu Respekt gegenüber dem Gesetz erzogen werden. Die Aggressivität nimmt anscheinend zu in unserer Gesellschaft - das stelle ich in Gesprächen mit Polizisten fest. Es ist eine bittere Erkenntnis.

Was tut die Polizei, um die Beamten zu schützen?

Breitner: Wir wollen die Polizisten stärker darauf einstellen - mit Einsatztrainings, in denen Dinge wie Eigensicherung und Selbstverteidigung gelehrt werden. In Eutin planen wir gerade ein neues Einsatztrainingszentrum. Wir hoffen, dass wir es noch in dieser Legislaturperiode einweihen können. Ich meine aber auch, dass ein Ruck durch die Gesellschaft gehen muss. Wir brauchen mehr Respekt vor der Polizei - den fordere ich ein.

Ihr Amtsvorgänger Klaus Schlie hat sich stark gegen Rechtsextremismus eingesetzt. Wo wollen Sie anknüpfen?

Breitner: Klaus Schlie hat auf dem Gebiet gute Grundlagenarbeit geliefert, auf der ich aufbauen kann. Aber wir werden mehr tun als die Vorgängerregierung. Schleswig-Holstein stellt jetzt zum ersten Mal ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus auf die Beine, als Ergänzung zum schon bestehenden Bundesprogramm. 300.000 Euro geben wir in diesem Jahr dafür aus.

Was genau ist geplant?

Breitner: Unter anderem haben wir vor, bis zum Sommer drei neue Beratungsstellen einzurichten, im Norden, Westen und Südosten des Landes. Jeweils zwei Berater werden dort arbeiten, die zum Beispiel an Schulen und Kitas, aber auch in Betrieben und Vereinen über Gefahren des Rechtsextremismus aufklären. Wo die Beratungsstellen hinkommen, steht aber noch nicht fest.

Gibt es in Schleswig-Holstein Brennpunkte des Rechtsextremismus?

Breitner: Der heutige Rechtsextremismus ist ständigen lokalen Schwankungen unterworfen. Deshalb ist es schwierig, sich auf Brennpunkte festzulegen. Trotzdem kann man sagen, dass derzeit der nordwestliche und der südöstliche Landesteil eine besondere Bedeutung für die Szene haben. Es gibt vergleichsweise hohe Aktivitäten in Nordfriesland sowie im Bereich von Lübeck und dem Herzogtum Lauenburg. Es ist kein Zufall, dass die NPD im dortigen Kreistag vertreten ist. Erkennbar ist das auch an der polizeilichen Statistik über Straftaten in dieser Region. In Lübeck gibt es ebenfalls seit Jahren eine bedeutende Szene. Sie gilt auch als Nahtstelle zwischen der NPD und der neonazistischen Szene.

Wie sieht es mit den Kreisen Stormarn, Pinneberg und Bad Segeberg aus?

Breitner: In Stormarn hat sich erst vor wenigen Jahren eine Szene verfestigt. Es gibt dort die sogenannten autonomen Nationalisten, die sich mittlerweile mit anderen Neonazis zu einem "Aktionsbündnis Stormarn/Lübeck" zusammengeschlossen haben. Das Problem ist größer als in anderen Teilen des Landes, aber nicht so ausgeprägt wie etwa im Kreis Herzogtum Lauenburg.

Im Kreis Segeberg ist die Szene hingegen ausgesprochen strukturlos. Die NPD-Informationsstände, die dort im Laufe des Jahres immer wieder zu sehen waren, gehen auf das Konto des dortigen NPD-Kreisvorsitzenden. Der Kreis Pinneberg ist nicht mehr die rechtsextreme Hochburg wie in früheren Jahren.

Sie waren Bürgermeister von Rendsburg. Haben Sie in diesem Amt Erfahrungen mit Rechtsextremismus gemacht?

Breitner: Ja. Die Stadt hat im Jahr 2010 genehmigt, dass ein Muezzin von den Türmen der Moschee zum Gebet rufen darf. Danach habe ich die rechte Szene ziemlich direkt zu spüren bekommen. Auf einschlägigen Webseiten wurde gegen mich gehetzt. Ich wurde als Vaterlandsverräter dargestellt, und es hieß, ich gehöre vom Koran erschlagen oder erhängt. Kurzzeitig hatte ich auch Objektschutz am Haus. Das hat mich schon geprägt. Heute ist das ausgestanden - der Muezzin ruft, die Stadt ist befriedet.

Aus dieser Erfahrung heraus - was raten Sie Menschen, die Rechtsextremismus bekämpfen wollen?

Breitner: Sobald er sichtbar wird, muss man sich entgegenstellen. Eine Gegenöffentlichkeit ist wichtig. Und es ist wichtig, dass der Protest von allen Bürgern getragen wird, nicht nur von Vertretern der linken Szene.

Vor eineinhalb Jahren wurden die Taten der NSU-Terrorzelle bekannt. Die Debatte darüber wird bis heute geführt. Hat das Auswirkungen auf Rechtsextremismus in Schleswig-Holstein?

Breitner: Ja. Wir haben den Eindruck, dass es seitdem ruhiger geworden ist. Das heißt: Die sichtbaren Taten werden weniger. Offenbar halten sich Neonazis zurzeit eher zurück. Vielleicht wollen sie auch einfach keine Aufmerksamkeit erregen. Nach unseren Erkenntnissen gibt es 1170 Rechtsextreme in Schleswig-Holstein, die Zahl hat sich im Wesentlichen nicht verändert.

Gibt es Erkenntnisse darüber, dass die NSU Verbindungen nach Schleswig-Holstein hatte? Hatte sie Ziele in dem Bundesland im Auge?

Breitner: Es gab die Behauptung, dass sich die NSU in Kiel Waffen besorgt habe. Die ist von der Bundesanwaltschaft aber als nicht glaubhaft zurückgewiesen worden. Weiterhin hatten Mitglieder der NSU einmal auf Fehmarn Urlaub gemacht. Aber es deutet nichts darauf hin, dass dort irgendwelche Aktionen vorbereitet wurden. Und es gab Ausspähungen nach Anschlagszielen in Kiel wie auch in anderen Städten in Deutschland. Letztlich gibt es aber keine konkreten Hinweise auf geplante Anschläge der NSU in Schleswig-Holstein. Und bis zum heutigen Tag gibt es keine strafrechtlichen Verbindungen der NSU in unser Bundesland.

Wie bewerten Sie die Gefahr, die von religiösem Extremismus ausgeht?

Breitner: Im religiösen Extremismus geht die Gefahr vom Islamismus aus. Am gefährlichsten ist der islamistische Terrorismus. Schleswig-Holstein befindet sich, wie Deutschland insgesamt, in dessen Fokus. Der Verfassungsschutz beobachtet auch mit besonderer Aufmerksamkeit die Anhänger des Salafismus, einer rückwärtsgewandten Islam-Auslegung. Im Land gibt es etwa 200 Anhänger. Sie fallen durch Missionierungsaktionen auf und zum Teil auch durch Straßengewalt. Die ist zwar ganz klar vom Jihadismus abzugrenzen, also vom islamistischen Terrorismus - aber es besteht die Gefahr, dass sich Einzelne weiter radikalisieren.