Schleusen sind defekt, große Schiffe dürfen nicht mehr fahren. Ministerpräsident Torsten Albig: Bundesregierung hat versagt

Kiel/Hamburg . Seit Monaten mahnt die Landesregierung. Seit Monaten fordert die Wirtschaft in Schleswig-Holstein Zusagen vom Bund, seit Monaten dringt die Hamburger Hafenwirtschaft auf eine schnelle Sanierung. Jetzt tritt das ein, was alle befürchtet haben: Die beiden großen Schleusenkammern des Nord-Ostsee-Kanals in Brunsbüttel müssen wegen einer Notreparatur für voraussichtlich zwei Wochen komplett geschlossen werden. Folge: Schiffe mit mehr als 125 Meter Länge müssen den Umweg über Skagen nehmen, um von der Nord- in die Ostsee oder umgekehrt zu gelangen. Schleswig-Holstein Ministerpräsident Torsten Albig reagierte sofort auf die Nachricht, die am Nachmittag von der Kieler Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, einer Bundesbehörde, verbreitet wurde. "Ich bin entsetzt", sagte er. "Wenn es noch eines Beweises für das Versagen der Bundesregierung bedurft hätte, jetzt haben wir ihn: Da die Schleusentore nicht rechtzeitig saniert wurden, verstopft eine der wichtigsten Lebensadern für die Wirtschaft in ganz Deutschland." Albig hat sich mit einem Protestschreiben an Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) gewendet. "Ich fordere Sie eindringlich auf, sofort alles Notwendige zu veranlassen, um den Nord-Ostsee-Kanal unverzüglich in einen Zustand zu versetzen, der den Anforderungen an diese hochfrequentierte internationale Wasserstraße gerecht wird", heißt es in dem Schreiben, das dem Abendblatt vorliegt.

Die Notreparatur wird die regionale Schifffahrt und die Hafenwirtschaft massiv negativ beeinflussen. Als letztes Schiff mit mehr als 125 Meter Länge wurde am Mittwochabend der Containerfrachter "Wes Amelie" in Kiel-Holtenau westwärts gehend in den Kanal eingeschleust, in Brunsbüttel soll sie die künstliche Wasserstraße als letztes größeres Schiff wieder verlassen. "Das ist ein Drama", sagte Jann Petersen, Geschäftsführer von United Canal Agency (UCA) in Kiel. Die Agentur ist eine von zweien, die Schiffspassagen für Handelsschiffe vermittelt. Von den insgesamt 35.000 Durchfahrten von Handelsschiffen im Jahr betreut UCA rund 15.000. Die Hälfte davon sind Schiffe mit mehr als 125 Meter Länge. "Wir haben in den vergangenen Stunden 30 bis 40 Reedereien direkt informiert", sagte Petersen. An seine insgesamt 1500 Kanalkunden habe UCA ein Rundschreiben zur Lage verschickt. "Das betrifft alle Beteiligten in der Region, Reedereien, Häfen, Lotsenstationen", sagte Petersen. Auch Ladung für Fernrouten sei betroffen, weil etliche Zubringerschiffe, die sogenannten Feeder, ihre Termine für die Beschickung der Überseeschiffe nicht einhalten können. "Vor einer solchen Lage haben wir seit zehn Jahren gewarnt", sagte Petersen.

Wie hoch der Schaden letztlich ausfällt, ist noch unklar. "Wir waren überrascht, dass die Sperrung der großen Schleusen in Brunsbüttel jetzt passiert, haben aber sofort unseren Notplan aktiviert", sagte Timm Ulrich Niebergall, Deutschland-Chef des größten Kanalkunden, der Hamburger Reederei Unifeeder, dem Abendblatt. Unifeeder-Schiffe passieren den Kanal im Schnitt 40-mal in der Woche. Bis auf einen Frachter seien alle Schiffe der Flotte länger als 125 Meter, sagte Niebergall. "Wir schicken die Schiffe jetzt um Skagen an der Nordspitze Dänemarks herum. Die Fahrzeit nach Schweden und Dänemark verlängert sich dadurch um fünf bis zehn Stunden, in die östliche Ostsee um 15 bis 20 Stunden", sagte Niebergall. Welche Kosten das verursacht, konnte die Reederei nicht sagen.

Der Reparaturbedarf der beiden großen Schleusen in Brunsbüttel ist bekannt. Sie werden im kommenden Jahr 100 Jahre alt. 300 Millionen Euro soll die Sanierung kosten. Zu einem ersten Spatenstich war Bundesverkehrsminister Ramsauer im vergangenen Jahr an den Kanal gekommen. Seitdem ist allerdings kaum etwas geschehen. Nach Auskunft des Bundesverkehrsministeriums liegt das unter anderem an der komplizierten europaweiten Ausschreibung der Arbeiten. Gesa Völkel, die Leiterin des Wasser- und Schifffahrtsamtes in Brunsbüttel, sah nun keine andere Möglichkeit mehr, als die Schleusen für eine Notreparatur zu sperren. Die Tore laufen auf Holzkufen. "Und die sind jetzt so weit abgenutzt, dass wir unheimlich viel Kraft brauchen, um die Tore zu bewegen", sagte Völkel. "Die Motoren sind kurz vor dem Durchbrennen." In der Nordkammer ist das Elbetor auf, in der Südkammer ist das Binnentor kaum noch zu bewegen. Die provisorische Reparatur ist sehr aufwendig. Die Schleusentore müssen ausgebaut und in eine Werft gebracht werden. Der Ausbau ist schwierig. "Wir haben unter Wasser nur eine Sichtweite von ein bis zwei Zentimetern", sagte Völkel. Ist das überhaupt in zwei Wochen hinzubekommen? "Wir müssen es schaffen", so Gesa Völkel. Torsten Albig sagt: "Es gilt, Schaden von Deutschland abzuwenden", sagte er.