Die Familie war nach der Abschiebung von Mutter und Tochter acht Jahre lang getrennt. Ihr Fall steht für eine Wende in der Ausländerpolitik.

Hannover . Manchmal haben sie geglaubt, gegen Mauern zu laufen aus Paragrafen, die schwerer wiegen als Menschlichkeit. Deswegen ist der Moment so kostbar, deswegen sind sie zu nachtschlafender Zeit aus Hildesheim hergekommen: Gegen 2 Uhr nachts am Sonntag gibt es Freudentränen auf der Ankunftsebene des Flughafens Hannover, als eine junge Frau mit zwei kleinen Kindern durch eine automatische Tür tritt und damit zurück in ein Leben, das diesen Namen verdient.

Das endete vorläufig am Morgen des 10. Februar 2005: Da wird die schwangere Gazale Salame von der Polizei gemeinsam mit ihrer damals einjährigen Tochter Schams abgeholt und abgeschoben in die Türkei. Ihr Mann brachte gerade die beiden großen Töchter zur Schule, die drei blieben nur deshalb verschont. Gazale Salame hat ihre beiden Töchter, die inzwischen 14-jährige Nura und die 15-jährige Amina, seither nicht wieder gesehen. Und umgekehrt haben in dieser Nacht zu Sonntag der Vater und die beiden großen Mädchen erstmals den siebenjährigen Sohn und Bruder Gazi in die Arme schließen können. Hätten die großen Mädchen mit dem Vater die Mutter in der Türkei besucht, dann wäre eine Wiedereinreise vermutlich nicht möglich gewesen.

Es ist damals alles nach Recht und Gesetz abgelaufen, die Eltern von Gazale hatten nun einmal 17 Jahre zuvor bei der eigenen Einreise falsche Personalangaben gemacht. Alle Versuche, dennoch Asyl zu bekommen, blieben erfolglos. Der unangemeldete Besuch der Polizei, der Transport zum Flieger ab Frankfurt - die deutschen Ausländerbehörden praktizieren dies tausendfach im Jahr. Und es geht dabei erklärtermaßen auch um Abschreckung.

Eines aber ist hier anders: Der Fall der schwangeren jungen Mutter mit dem Kleinkind, die fortan in einem Elendsquartier im westtürkischen Izmir lebt, lässt nicht nur den Flüchtlingsrat, sondern auch ganz normale Hildesheimer Bürger nicht ruhen. Immer wieder berichten die Medien, der Druck auf die Politik nimmt im Laufe von acht Jahren nicht wie üblich ab, sondern kontinuierlich zu - auch deshalb, weil die Kirchen immer lauter Gnade vor Recht fordern.

Aber Innenminister Uwe Schünemann (CDU), im Amt seit 2003, führt sich auf wie ein selbst ernannter Fels in der Brandung des Flüchtlingsstromes. Im Lager Bramsche, wo ausreisepflichtige und endgültig abgelehnte Familien auf die zwangsweise Rückführung warten, spielt er demonstrativ fröhlich und unrührbar Tischfußball mit kleinen Jungen, die nicht ahnen können, das eben dieser Mann sich damit profiliert, dass er Gnade vor Recht nicht kennt - und sie außer Landes schaffen lässt. Seine Position in der schwarz-gelben Landesregierung ist lange Zeit so stark, dass nicht einmal die Ministerpräsidenten Christian Wulff und später David McAllister sich trauen, eine Kurskorrektur zu erzwingen.

Der erste Riss im Bild des Hardliners entsteht gegen Schünemanns erklärten Willen kurz vor Weihnachten 2011. Da ist die vierköpfige vietnamesische Familie Nguyens abgeschoben worden, nur die erwachsene Tochter durfte bleiben. Der Druck wird so groß, dass die Nguyens zwei Monate später zurückkehren dürfen. Die Unterstützer von Gazale Salame hatten nie lockergelassen, jetzt schöpfen sie neue Hoffnung. Sie verstärken den Druck, auch die örtlichen Landtagsabgeordneten von CDU und FDP reihen sich in den Chor derer ein, die immer lauter die Rückkehr der jungen Frau zu den beiden großen Töchtern einfordern - ohne Rücksicht auf Paragrafen. Mit der näher rückenden Landtagswahl (20. Januar 2013) wird der Druck so groß, dass der Landtag in seiner Sitzung im Dezember die Rückkehr von Gazale Salame beschließt. Die Unterstützer in Hildesheim rund um den Flüchtlingsrat haben das Ihre getan, Geld gesammelt und Garantien gegeben, dass die Familie nicht vom Staat ausgehalten werden muss.

In den ersten neun Monaten des Jahres 2012 haben die niedersächsischen Ausländerbehörden rund 500 Menschen abgeschoben, das ist auch umgerechnet auf die Bevölkerungszahl ein eher durchschnittlicher Wert, in Nordrhein-Westfalen liegt die Zahl deutlich höher. Aber in Niedersachsen gab es nie Raum für unbürokratische Lösungen. Auch nicht bei Familien mit kleinen Kindern. Die Härtefallkommission hat sich der Innenminister auf den Leib geschneidert, eine Abteilungsleiterin aus seinem Ministerium führt den Vorsitz, er selbst hat das letzte Wort. Im Resultat führt das immer wieder dazu, dass Kinder und sogar junge Erwachsene, die in Deutschland geboren oder mindestens hier aufgewachsen sind, dafür büßen müssen, dass ihre Eltern versuchten, die Anerkennung als Asylbewerber mit falschen Angaben zu erschleichen. Oder dass sie Hartz IV erhielten und dauerhaft den Steuerzahlern zur Last zu fallen drohten. Aber auch schlechte Noten von Kindern in der Schule können bereits den Ausschlag geben für eine Abschiebung "wegen der schlechten Sozialprognose".

Boris Pistorius, SPD-Innenminister seit knapp zwei Wochen, war Sonntagnacht auf dem Flughafen Hannover, hat Gazale Salame und die Kinder begrüßt. Dies war ein Tritt vors Schienenbein des hartleibigen Vorgängers, aber auch eine Demutsgeste angesichts einer peinlichen Panne. Noch fünf Tage nach seinem Amtsantritt hat der Landkreis Lüchow-Dannenberg eine Roma-Familie abschieben wollen. Weil der 16-jährige Sohn bei Freunden übernachtete, ließ die Ausländerbehörde den Vater im Land, schob aber die Mutter mit zwei jüngeren Kindern in den Kosovo ab - eine fatale Parallele zur Familie Salame.

Der zuständige Landrat hatte sich wegen des eben erfolgten Regierungswechsels in Hannover zuvor eigens erkundigt, ob denn die Abschiebung dennoch stattfinden solle. Die Fachabteilung im Innenministerium bejahte dies.

Die Bilder von Innenminister Boris Pistorius auf dem Flughafen Hannover bei der Begrüßung von Gazale Salame sind daher auch ein Signal an die Bürokraten, dass die Zeit der Paragrafenreiterei vorbei ist. Die Rückkehrerin sagte nur: "Es ist alles schön, ich will nur Frieden."