Niedersachsens abgewählter Ministerpräsident David McAllister schmollt. Die Niederlage will sich der Politiker nicht recht eingestehen.

Hannover. Als am 7. Februar 2003 klar war, dass die SPD die Landtagswahl krachend verloren hatte, flüsterten sich die Verlierer auf den Gängen des Landtages in Hannover immer wieder einen Satz zu: "Der Herr hat es gegeben, der Herr hat es genommen." Sigmar Gabriel musste als Ministerpräsident abtreten, weil sich die rot-grüne Koalition auf Bundesebene, wenige Monate nach der eigenen knappen Wiederwahl, als Chaostruppe präsentierte. Verloren war an diesem Abend in Niedersachsen die absolute Mehrheit, die der damalige Ministerpräsident Gerhard Schröder 1998 gewonnen hatte, und die ihm den Weg zu Kanzlerkandidatur und Kanzlerschaft geebnet hatte.

Auch David McAllister hat am 20. Januar eine Mehrheit verloren, die sein Vorgänger Christian Wulff 2008 errungen hatte. Und ähnlich wie Gabriel, hat er verloren - trotz hervorragender persönlicher Bekanntheits- und Beliebtheitswerte. Anders aber als sein sozialdemokratischer Vorvorgänger, kann er nicht einfach zur Tagesordnung übergehen, und so wie damals Gabriel in die Rolle des Oppositionsführers schlüpfen. McAllister hatte Rückenwind aus Berlin und Kanzlerin Angela Merkel im Schlussspurt des Wahlkampfes fast täglich an seiner Seite. Er hat nicht wegen Berlin verloren. Er hat verloren, nachdem er der eigenen Partei einen ganz amerikanischen, und auf seine Person zugeschnittenen Wahlkampf verordnet hatte - das war zu wenig.

Was das Ganze schwierig macht: Er kann es sich selbst bis heute nicht eingestehen. In fast jedem der jetzt auf einmal so raren Statements verweist er darauf, wie "hauchdünn" er verloren habe, und darauf, dass am Ende nur einige Hundert Stimmen in einem Hildesheimer Wahlkreis ausschlaggebend gewesen seien. Dieses "Falls" und "Hätte" übersieht geflissentlich, dass am linken Rand die Linke mit drei und die Piraten mit zwei Prozent an der Fünfprozenthürde gescheitert sind. Es gab bei der Landtagswahl in Niedersachsen eine klare Mehrheit links von David McAllister. Für den erst 42-jährigen McAllister wie seinen 54-jährigen SPD-Herausforderer Stephan Weil ging es bei der ersten Wahl gleich um alles oder nichts, so ähnlich wie im Jahr 2003 für Sigmar Gabriel. Der reagierte damals mit Aktionismus, verkündete bereits 24 Stunden nach der verlorenen Wahl, er habe alle Pläne für eine kraftvolle Opposition fertig in der Schublade.

Und was macht David McAllister? Er ist abgetaucht, schmollt mit den Wählern und den Feinheiten des Wahlrechts. Es gibt in seiner Ministerriege mit Aygül Özkan (Soziales), Bernd Althusmann (Kultur) und Uwe Schünemann (Innen) gleich drei Ressortchefs, die außer dem Ministeramt auch das Landtagsmandat verloren haben und vor einer ungewissen Zukunft stehen. Sie aber absolvieren die lange geplanten Termine, Sozialministerin Özkan tut sich an diesem Sonnabend sogar die Verleihung eines Karnevalsordens an - Büttenrede inklusive.

Der Noch-Ministerpräsident McAllister dagegen trägt seit jetzt mehr als 14 Tagen demonstrativ Trauer und schwer daran, verschmäht worden zu sein. Ob es einen Stimmenabschlag gegeben hat wegen der Causa Wulff? Genau solche Fragen sind wichtiger Bestandteil von Autosuggestion.

Tatsächlich hat McAllister nach der Regierungsübernahme als Nachfolger des soeben gewählten Bundespräsidenten Christian Wulff dem Land Niedersachsen im Sommer 2010 Stillstand verordnet. Produziert wurden keine Entscheidungen mehr, sondern Papiere, die lediglich die Probleme formulierten, selten aber lösten.

Ein kleines, aber feines Beispiel: McAllister wollte eine humanere Flüchtlingspolitik, beschrieb seine Wünsche und ließ dann doch seinen Innenminister und Hardliner Schünemann weitgehend gewähren mit dessen rigider Abschiebepraxis.

In der Schulpolitik hätte kalkulierbares Entgegenkommen in der Frage von Gesamtschulgründungen die Chance geboten, das ewig strittige Thema der Schulstrukturreformen zwei Jahre vor der Landtagswahl endgültig abzuräumen - McAllister hatte nicht die Weitsicht, sich gegen Hardliner aus den eigenen Reihen durchzusetzen.

Und was ist davon zu halten, wenn ein leibhaftiger Ministerpräsident erst öffentlich über Leihstimmen spekuliert, dann eine solche Kampagne weit von sich weist, um kurz vor der Landtagswahl beim kleinen Parteitag des schwächelnden Koalitionspartners FDP aufzutauchen? Das Ergebnis ist bekannt: Es hat dennoch nicht gereicht, aber die CDU muss die ohnehin harten Oppositionsbänke teilen mit einer selbst hochgepäppelten Konkurrenz im bürgerlichen Lager. McAllister hat sich zulasten der eigenen Landespartei dramatisch verzockt.

So richtig begreifen werden dies die CDU und ihr Spitzenmann wohl erst am 19. Februar: Angesichts der hauchdünnen Mehrheit von SPD und Grünen ist es derzeit noch allzu verführerisch, auf ein politisches Wunder zu hoffen, statt sich der Realität zu stellen. Und wenn auch dieser Traum ausgeträumt ist, wird es für McAllister richtig schwierig.

Natürlich, er kann doch noch Oppositionsführer werden - aber eben mit dem Image eines Verlierers. Und er kann sich nach Berlin rufen lassen, aber es wäre wieder ein außerordentlich riskantes Spiel um alles oder nichts: Denn im September wird der neue Bundestag gewählt, und David McAllister müsste vorher sein niedersächsisches Landtagsmandat aufgeben.