Zwei Jahre nach dem Tod einer Kadettin ging die “Gorch Fock“ wieder auf Fahrt. Die Ausbildung der Soldaten wurde reformiert.

Kiel. Angespannte Blicke richten sich nach oben, als die Marinesoldaten beim Ablegen der "Gorch Fock" die Takelage hochklettern und in den 45 Meter hohen Masten an den Rahen Segel losmachen. Zwei Jahre nach dem tödlichen Sturz einer Kadettin ist das massiv in die Kritik geratene Segelschulschiff der Deutschen Marine gestern in Kiel erstmals wieder auf Ausbildungsfahrt aufgebrochen.

Bevor das Kommando "Leinen los!" ertönt, wird - bei grau-nassem Novemberwetter - auf dem weißen Dreimaster der neue Kommandant Helge Risch umlagert. Immer wieder fragen die Journalisten nach der Sicherheit. "Die Gefährdung für die Soldaten, die sich in der Takelage bewegen, ist erheblich reduziert worden - was nicht heißt, dass es risikolos ist", sagt Risch und fügt hinzu: "Eine risikolose Takelage gibt es nicht und wird es möglicherweise auch nie geben."

Rückblende, November 2010: In einem brasilianischen Hafen stürzt eine Kadettin bei der Segelausbildung in den Tod. Vorwürfe werden laut. Die Ausbilder würden die Kadetten schikanieren, keine Rücksicht nehmen, von sexueller Belästigung war die Rede. Zwei Jahre zuvor hat es schon einmal einen Todesfall auf der "Gorch Fock" gegeben. Eine Offiziersanwärterin ging nachts in der Nordsee offenbar über Bord, Fragen blieben offen. Die Marine untersuchte Vorgänge intensiv, lieferte einen umfangreichen Bericht ab. Darin wurden Verbesserungen im Sicherungssystem der jungen Leute in der Takelage vorgeschlagen und Veränderungen in der Ausbildung. Die Vorwürfe der Schikane und sexuellen Belästigung erwiesen sich als nicht haltbar. Der damalige Verteidigungsminister zu Guttenberg hatte den Kommandanten, Kapitän zur See Norbert Schatz, vom Dienst suspendiert, bevor die Vorgänge überhaupt untersucht worden waren. Er wurde in vollem Umfang rehabilitiert. Eine Kommission überarbeitete die Ausbildung. An Land entstand für mehr als eine Million Euro ein Übungsmast in der Marineschule Mürwik in Flensburg.

"Alle, die in der Takelage arbeiten, haben am Übungsmast geübt - das ist jetzt die bindende Voraussetzung", sagt der neue Kommandant Risch. Der 49-Jährige ist selbst den 28 Meter hohen Übungsmast hochgeklettert - "ich muss mit gutem Beispiel vorangehen". Natürlich sei der Mast niedriger und er bewege sich auch nicht wie ein Schiff. "Aber man kann die Kadetten sehr viel besser vorbereiten auf das, was sie erwartet." Und in einer solchen Art von "Laborumgebung" lasse sich feststellen, "ob jemand physisch, mental und motorisch in der Lage ist, diese Aufgabe durchzuführen". Die Ausbilder seien zudem psychologisch besser geschult.

Rund ein Viertel der Teilnehmer bei den Marinelehrgängen sind Frauen. Sie müssen auch in Zukunft genauso in die Takelage klettern wie die Männer. "Meine Erfahrung ist, dass die Frauen, die sich für die Marine entscheiden, das auch leisten können", sagt Risch und fügt hinzu: "Die sind motiviert, bereit, sich anzustrengen, und ich glaube, sie stehen ihren männlichen Kameraden keinen Deut nach."

Für rund zehn Millionen Euro musste die "Gorch Fock" unplanmäßig überholt werden, vor allem wegen Rost. Aber auch in die Sicherheit wurde investiert. So kann sich in den Rahen die Segelcrew in eine lange Stahlstrebe einklinken und sichern. Sicherungsmöglichkeiten wurden zudem zwischen den Plattformen, den Salingen, in den Masten geschaffen. Wer sie erreichen will, muss kurzzeitig in Rückenlage klettern.

Kiel gestern: Beim Abschied gibt es innige Umarmungen, Abschiedsküsse. Schiffsversorgungsoffizier Bernd Abshagen, 32, und seine Frau Natascha geben sich tapfer. Abwechselnd tragen Vater und Mutter ihren zweijährigen Sohn Ben auf dem Arm, der munter eine kleine Deutschlandfahne zur Blasmusik des Marinemusikkorps schwenkt.

"Es ist für Ben das erste Mal, dass sein Vater ein halbes Jahr fort ist", sagt Natascha Abshagen. Über Weihnachten und Neujahr werden sie Papa auf Las Palmas auf den Kanaren besuchen - der ersten Station der "Gorch Fock". Auch Bernd Abshagen hat in Mürwik Klettern geübt, er ist überzeugt von den Sicherungsverbesserungen, auch wenn das Entern jetzt etwas länger dauert.

Risch bekennt, wegen der großen Verantwortung angespannt zu sein, "aber nicht nervös". Vor den Kanaren wollen sie das Schiff "einsegeln", wie er es nennt. Vom 20. Januar an sollen dann 220 Offiziersanwärter zur Ausbildung kommen. Die Route wird über die Häfen Horta (Azoren, Portugal), Lissabon und Funchal (Madeira, Portugal) nach London führen. Im Mai ist die "Gorch Fock" Blickfang beim Hamburger Hafengeburtstag, ehe am 18. Mai 2013 die Bark wieder in Kiel anlegt.

Mit betont herzlichen Worten lobt Schleswig-Holsteins Landtagspräsident Klaus Schlie (CDU) an Bord die "Gorch Fock" und ihre Besatzung als "Botschafter Deutschlands", bekennt sich ohne Wenn und Aber zu dem Schiff. Worte wie "stolz", "maritimes Wahrzeichen", "Kameradschaft", "Hochachtung" fallen. Fürsorglich klingt dann sein Wunsch, ehe die "Gorch Fock" zu den Klängen "I'm Sailing" ablegt und in der Förde einige Segel setzt: "Passen Sie gut auf sich auf, und kommen Sie gesund wieder nach Hause!"