Trotz Schulden investiert Oberbürgermeister Mädge Millionen in Kunst - und macht die Stadt für Bürger und Firmen attraktiv.

Lüneburg. Ein zusätzliches Jugendtheater, ein Neubau für die städtische Musikschule, ein neues Museum und ein geplantes Zentrum für Künstler und Kreative: Trotz Schuldenberg und obwohl ein reiches kulturelles Angebot vor der Haustür liegt, leistet sich die Hansestadt Lüneburg 50 Kilometer südöstlich von Hamburg derzeit so viele Investitionen in kulturelle Neubauten wie wohl keine andere vergleichbare Stadt in Norddeutschland.

Der Verwaltungschef ist sicher: Das Geld zahlt sich aus.

Gut 20 Jahre ist der Sozialdemokrat Ulrich Mädge ehrenamtlicher und später hauptamtlicher Oberbürgermeister der Stadt, die Anfang der Neunziger noch schlappe 61 000 Einwohner zählte, jetzt 73 000 hat und der für das Jahr 2020 rund 78 000 prognostiziert sind. Der Stadt, die vor 20 Jahren noch eine Soldaten- und Beamtenstadt war und heute eine Stadt der Studenten, jungen Familien und Hamburg-Pendler ist. Die jedes Jahr Baugebiete für Tausende Neubürger ausweist und deren Grundstücke und Neubauten regelmäßig rasant und zu stetig steigenden Preisen ausverkauft sind.

Auch wenn die 5,6 Millionen Euro, die Lüneburg im vergangenen Jahr für Museen, Theater, Musik, Büchereien oder Denkmalschutz ausgegeben hat, fast vernachlässigenswert scheinen sie im Vergleich zu den Zahlen des großen Nachbarn Hamburg vor der Haustür: 44,2 Millionen für Museen, 101 Millionen für Theater, 60,8 Millionen für Musik und 4,5 Millionen für Denkmalschutz. Hamburg hat auch 25-mal so viele Einwohner wie Lüneburg.

Und dass Lüneburg kein Vorort von Hamburg geworden ist, keine Schlafstadt ohne Menschen auf den abendlichen Straßen, das ist die Rendite, von der Mädge spricht, wenn er die "verantwortungsvollen Investitionen" vor dem Hintergrund des städtischen Schuldenbergs begründet, wenn politische Gegner ihn für seine Entscheidungen in Sachen Neubauten angreifen.

Auf gut 105 Millionen Euro Investitionskrediten sitzt die Stadt laut letztjähriger Bilanz, die Liquiditätskredite für die laufenden Kosten werden sich durch den Entschuldungshilfe-Vertrag mit dem Land Niedersachsen zum Jahreswechsel von rund 160 Millionen auf rund 90 Millionen Euro reduziert - mit der Maßgabe ausgeglichener Haushaltsentwürfe ab 2013.

Und trotzdem: 2,5 Millionen Euro hat die Stadt in das vor drei Jahren eröffnete Kinder- und Jugendtheater gesteckt, 5,5 Millionen Euro zahlt die Stadt für den jüngst eingeweihten Neubau der Musikschule, 10,5 Millionen investiert die Stadt in ein neues Museum, das im Frühjahr 2014 fertig sein soll und 3,1 Millionen Euro in ein Kreativzentrum namens Kulturbäckerei, das ab Ende 2014 günstige Ateliers und Büros für Kulturschaffende bieten soll. Plus fünf Millionen Euro als Zuschuss für den Neubau des Audimax von Stararchitekt Daniel Libeskind an der Leuphana Universität Lüneburg.

78 Euro hat die Stadt vergangenes Jahr pro Kopf für Kultur ausgegeben. Das ist mehr als doppelt so viel, wie es der Bundesdurchschnitt deutscher Städte zwischen 20 000 und 100 000 Einwohnern laut Kulturfinanzbericht der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder im Jahr 2007 getan hat: knapp 35 Euro. Eine aktuellere Zahl liegt derzeit nicht vor.

Warum die kleine Stadt vor den Toren Hamburgs das alles macht, warum sie sich ein eigenes Drei-Sparten-Theater hält, obwohl das Ticket für den Metronom nach Lüneburg in den meisten Hamburger Theater- und Konzertkarten enthalten ist, weil Lüneburg zum HVV-Gesamtbereich zählt?

"Damit wir und die Region Lebensqualität haben", sagt der Oberbürgermeister. "Dazu gehört nicht nur die Verkehrsberuhigung und Sanierung der Innenstadt, dazu gehört vor allem auch die Kultur. Die Rendite unserer Investitionen lässt sich nicht in Euro und Cent berechnen, aber in den Zuwächsen an Menschen - und an inhabergeführten Geschäften. Wir haben eine Zukunft als eigenständige, selbstständige Stadt." Und von den jährlich 100 000 Besuchern des Lüneburger Theaters kommen auch viele aus den Landkreisen Lüchow-Dannenberg und Harburg - beide ohne eigenes Haus.

Das stete Wachstum seiner Stadt sowie die millionenschweren Investitionen privater Unternehmer in Lüneburg macht Ulrich Mädge sicher, die richtigen Entscheidungen pro Investition trotz klammer Kasse getroffen zu haben. Auch wenn es Debatten gibt mit Kommunalpolitikern, denen die Ausgaben zu hoch sind, und mit Kulturschaffenden, denen das alles immer noch nicht reicht oder aber am falschen Platz stattfindet.

Seinen Kurs sieht der Langzeit-Rathauschef auch von den mittelständischen Unternehmen bestätigt, die von Lüneburg aus auf dem Weltmarkt tätig sind und auf der Suche nach Fachkräften mit der Qualität des Standorts punkten können: "Die sagen immer wieder, dass ihre Mitarbeiter nicht nur wegen der Nähe zu Hamburg und der guten Infrastruktur nach Lüneburg ziehen, sondern wegen der kulturellen Vielfalt."

Möglich sind die Lüneburger Großprojekte allerdings nur, weil die Stadt sie niemals allein finanziert. Mädges Drähte nach Hannover sorgen immer wieder für Mittel aus der Städtebauförderdung und anderen Töpfen, zudem besitzt Lüneburg eine regionale Sparkassenstiftung, die allein in diesem Jahr fast eine Million Euro in kulturelle Projekte gepumpt hat.

Danach gefragt, was Lüneburg heute ohne seine Universität und die Millionenausgaben in Kultur und Lebensqualität wäre, sagt der Mann, der die Stadt seit 20 Jahren entwickelt: "Eine Provinzstadt mit vielleicht 65 000 Einwohnern." Und auf die nächste Frage: "Bevor ich das Theater schließe, habe ich lieber drei Schlaglöcher mehr in der Straße."