Erfolgsmodell in Niedersachsen. Hannoversche Landeskirche schafft trotz Sparkurses mehr Stellen für Pastoren im Krankenhaus.

Hannover. Personalkosten einsparen, ohne Personal einzusparen: Wie das geht, macht die Landeskirche Hannover vor. Ihr Modell zur Finanzierung von Seelsorge-Stellen in Krankenhäusern läuft so erfolgreich, dass die Synode sich bei ihrer Sitzung Ende November vermutlich für eine Ausweitung entscheiden wird. Ziel ist, dass die Kliniken die Kosten für die kirchlichen Mitarbeiter im Haus mitfinanzieren.

Hintergrund ist das umfangreiche Sparkonzept, das die Hannoversche Landeskirche aufgrund ihrer schwierigen Finanzlage bereits im Jahr 2005 aufgelegt hat. Finanzierte die Landeskirche bis dahin sämtliche Stellen für Pastoren und Diakone in Krankenhäusern komplett aus ihrem eigenen Etat, wurden damals deutliche Einschnitte beschlossen: Bis 2020 muss der Bereich 40 Prozent bei den Pastoren und 30 Prozent bei den Diakonen in Kliniken einsparen.

Damit der Schnitt nicht zu hart wird, ersann die Landeskirche ein Refinanzierungs- und Bonifizierungsmodell: Bezahlt eine Einrichtung eine Viertel- oder eine halbe Stelle der Seelsorge selbst, zahlt Hannover die selbe Summe obendrauf - zusätzlich zu den festgelegten Bemessungsgrundlagen von einer vollen Stelle bei 800 Betten, einer Dreiviertelstelle bei 600 Betten, einer halben Stelle bei 400 Betten, einer Viertelstelle bei 200 bis 400 Betten.

"Das gibt uns die Chance, in kleinen Häusern überhaupt eine Teilstelle zu installieren, die ansonsten von ihrer Größe her gar keine finanziert bekämen", sagt Susanne Kruse-Joost, 51, beim Landeskirchenamt für das Referat Sonderseelsorge verantwortlich.

Zur ihrer Überraschung habe sich das Modell zu einem echten Erfolgsmodell entwickelt. Drei volle zusätzliche Stellen hatte die Synode zu Beginn des Jahres 2010 genehmigt, bereits 1,5 Jahre später waren diese vergeben - und interessierte Kliniken kamen auf eine Warteliste. Sollte die Synode dem Antrag der Pastorin zustimmen, stehen von 2013 an dann weitere drei Stellen zur Verfügung.

Und die Landeskirche spart trotzdem: Zahlte sie vor 2005 noch 60 Seelsorge-Stellen aus ihrem Etat, sind es jetzt nur noch 47,5 - ohne dass es weniger Stellen gebe, sagt Kruse-Joost: "Ohne das Modell hätte ich jedes Jahr eine Stelle streichen müssen."

Stellen wie die von Birgit Hagen: Die Pastorin ist Seelsorgerin im Herz- und Gefäßzentrum Bad Bevensen, der in der Region zentralen Station für Rehabilitation zum Beispiel nach Operationen am Herzen. "Die Betroffenen sind an der Grenze des Lebens gewesen, ihnen wird klar: Um Haaresbreite hätte ich tot sein können", sagt Birgit Hagen. "Das hat dann für viele auch eine religiöse oder spirituelle Dimension. Oft ist das die erste große Grenzerfahrung im Blick auf das eigene Leben. Ihnen wird bewusst, wie verletzbar, gefährdet und begrenzt und eben sterblich auch das eigene Leben ist."

Die Wirkung auf die Patienten dabei sei ganz unterschiedlich: Während die einen nach dem Motto "der Motorschaden ist repariert, jetzt geht's mit ein bisschen Training weiter" verfahren, versuchen andere, ihre Ängste und Sorgen zu verdrängen - und wieder andere geraten in depressive Phasen, erleben sich auf einmal als sehr empfindlich und dünnhäutig, erkennen sich mitunter selbst nicht wieder.

Wie ein solches Erlebnis wirkt, hat Wolfgang Vogelmann, 59, am eigenen Leib erfahren. Der Oberkirchenrat in Kiel hatte keine Arbeitswoche unter 60 Stunden und war starker Raucher. Von einem Arztbesuch im Spätsommer erst sechs Wochen später wieder richtig nach Hause gekommen - nach einer Bypassoperation und angeschlossener Reha. Weil alle drei Herzkranzgefäße verstopft waren und er von der Praxis per Rettungswagen direkt ins Krankenhaus kam - obwohl er nachts nur ein "komisches Gefühl in der Brust" gespürt hatte, mehr nicht.

Als Pastor hatte er Männer in seinem Alter und nach einem Herzinfarkt beerdigt, er selbst hatte Glück. "Ich habe einen Tod auf Probe erlebt", sagt der Genesene. Was für die Ärzte ein Routineeingriff war, war sein erster Krankenhausaufenthalt überhaupt. Als er aufwachte, hat er als Erstes allen Pflegern und Ärzten gedankt. "Ihnen verdanke ich mein Leben."

Von Depressionen ist Vogelmann verschont geblieben, hat sich selbst aber so weich erlebt wie wohl niemals vorher. Hatte auf einmal Angst, 400 Meter weit zu gehen - aus Sorge, den Rückweg nicht zu schaffen. Doch in der Reha lernte er mithilfe der Pfleger ein neues Selbst-Bewusstein, ein neues Körpergefühl.

Genauso wichtig wie körperliche Genesung ist aber die seelische, sagt die Pastorin Birgit Hagen - und zwar unabhängig von Konfession und Glaube. "Gut ist dabei die Bereitschaft, nicht nach dem Motto ,Augen zu und durch' zu verfahren, sondern die Krise als Herausforderung und Chance zu begreifen, neue Perspektiven zu gewinnen. Das kann aber jeder nur für sich selbst entdecken."

Gespräche mit anderen können dabei helfen, die Krankheit als Teil der eigenen Lebensgeschichte zu integrieren und neue Perspektiven zu entwickeln. Und wer außer den Seelsorgern hat in einem Krankenhausalltag schon Zeit für solche Gespräche.

Das haben auch die Klinikleitungen erkannt, sagt Susanne Kruse-Joost von der Landeskirche: "Gerade in großen Krankenhäusern rufen Ärzte und Schwestern in Krisensituationen oft unsere Seelsorger. Sie wissen es zu schätzen, dass jemand da ist, der Zeit hat."

Einen wirtschaftlichen Vorteil haben die Stellen für die Kliniken aber auch, weil psychosoziale Angebote Punkte für die Verhandlungen über Pflegesätze mit den Krankenkassen bringen und die Häuser sie für die Zertifizierung zu Fachzentren brauchen.