Seit zehn Jahren ist das Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue Modellregion für Nachhaltigkeit. Weltweit 600 dieser Regionen.

Hitzacker. Wenn Johannes Prüter hinter der urigen, aufwendig sanierten Fassade des Alten Rathauses in Hitzacker an seinem Schreibtisch sitzt und die vergangenen Jahre Revue passieren lässt, ist er zufrieden. Anlass zum Rückblick hat der promovierte Biologe häufig: Seit genau zehn Jahren besteht das Gesetz über das Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue.

Johannes Prüter ist der Mann, der die Auflagen aus Hannover in die Realität zwischen Lauenburg und Schnackenburg umsetzen soll. Denn so weit reicht das Hochleistungsnaturschutzgebiet. Sperrig ist der Titel, simpel die Idee: In einem von der Unesco anerkannten Biosphärenreservat sollen Natur und Mensch in Einklang leben. 600 dieser Modellregionen gibt es weltweit, die Everglades in Florida gehören dazu, der Ayers Rock in Australien - und die Niedersächsische Elbtalaue entlang von 96,5 Elbe-Kilometern.

Da die Anerkennung als Unesco-Biosphärenreservat keinerlei rechtliche Auswirkungen hat, müssen die jeweiligen Länder entsprechende Gesetze darüber erlassen. Davor stehen lange Beratungs- und Beteiligungsprozesse, schließlich geht es bei solchen Vorschriften auch um die Reduzierung landwirtschaftlicher Nutzung - und das treibt die Leitung des Biosphärenreservats immer wieder in die Vermittlerfunktion: zwischen Landwirten, denen die Restriktionen zu rigide sind, und Naturschützern, die sie lieber strenger hätten. Nach sieben Jahren an der Verwaltungsspitze aber kann Johannes Prüter, studierter Pädagoge, sagen: "Die Zahl derer, die das Biosphärenreservat als Chance wahrnehmen, ist gestiegen."

Das war vor zehn Jahren noch anders. Als der Landtag in Hannover am 23. Oktober nach langen Debatten das "Gesetz über das Biosphärenreservat Niedersächsische Elbtalaue" verabschiedete und es einen Monat später in Kraft trat, sahen viele das als "Bürokratieungeheuer", das die Region bedrohe.

Johannes Prüter ist daher auch einer, der den Ausgleich finden soll zwischen Naturschutz und Land- und Forstwirtschaft, Fischerei, Jagd, Wasserwirtschaft, Schifffahrt und Tourismus. Und der "Besucher und Bewohner dafür sensibilisieren möchte, natürliche Ressourcen zu bewahren und den Wert der anderen Lebewesen und ihrer Lebensräume höher zu achten".

Zum Beispiel derjenigen Vögel, die am Boden brüten und dafür auf Flächen angewiesen sind, die nicht alle paar Monate innerhalb weniger Stunden ratzekahl kurz gemäht werden. Oder derer, die nur in den Höhlen von totem Holz brüten. Oder zum Bau ihrer Nester auf Lehm angewiesen sind. Oder Frösche zum Fressen brauchen, die auf Hochleistungsäckern aber nicht leben können. Genau da sieht der Biologe derweil auch ein Problem, das das Biosphärenreservat mit seinen Instrumenten bislang nicht lösen konnte: "Der Rückgang an Wiesenvögeln und der Tierwelt in der Agrarlandschaft konnte nur punktuell gestoppt werden."

Erfolge gibt es an anderer Stelle: In den zehn Jahren Biosphärenreservat sind Biber, Fischotter, Kraniche und Seeadler zurückgekehrt in die Elbtalaue. Es sind Projekte mit Partnern entstanden zur Erhaltung bestandsbedrohter Nutztierrassen, zur Schaffung von Lebensräumen für den Storch und zur Pflege von 60 Kilometer Obstbaumalleen mit 10.000 Apfel-, Birnen- und Zwetschenbäumen alter Sorten. Im Elbschloss in Bleckede ist ein Naturerlebniszentrum mit interaktiver Ausstellung, Aquarien und Biberburg entstanden, das in der Region einmalig ist: das Biosphaerium. "Bei uns gibt es den Wechsel der Jahreszeiten und die ansonsten ,unsichtbaren' Tiere zu sehen", sagt Leiterin Andrea Schmidt.

In der Elbtalaue wachsen Ost und West zusammen. Die Gegend rechts und links der Elbe birgt einen riesigen Schatz, wie ihn kaum eine andere Region in Norddeutschland zu bieten hat. Dort, wo Menschen Unmenschliches getan haben, im ehemaligen sogenannten Schutzstreifen der DDR-Grenze, ist die Entwicklung der Infrastruktur jahrzehntelange stehen geblieben. Und die Natur greift sich diesen Raum, das "Grüne Band". Auch das weltweit einzig erhaltene Marschhufendorf liegt an der Elbe: Konau/Popelau, Außenstelle der Weltausstellung Expo in Hannover. Wer mehr als 20 Jahre nach der Wiedervereinigung die Elbtalaue erkundet, bewegt sich ständig zwischen altem Ost und altem West. Mühelos, aber niemals ohne Bewusstsein. Ausgediente Grenztürme, Zaunanlagen und Gedenkstätten erinnern immer wieder daran, dass Deutschland hier einst geteilt war. Und dass die Grenze 1000 Menschen das Leben und mindestens genauso viele die Heimat gekostet hat - weil sie vom DDR-Regime zwangsausgesiedelt wurden, wenn ihre Höfe zu nah an der Grenze lagen.

Wenn Johannes Prüter nun von seinem Schreibtisch gedanklich die nächsten zehn Jahre nach vorne sieht, formuliert er seine Ansprüche ähnlich vorsichtig wie seine Erfolge: "Unser Ziel ist, dass wir die Modellregion nachhaltiger Entwicklung, die wir sein sollen, vom Anspruch in die Wirklichkeit führen." Gleichzeitig heißt es für den Diplomaten Prüter, in den nächsten Jahren weitere Interessen unter einen Hut zu bekommen: die von Natur- und Umweltschutz sowie der Bewahrung von Ressourcen auf der einen Seite - und die der Wirtschaft und des Hochwasserschutzes am Fluss Elbe sowie der Erzeugung regenerativer Energien auf der anderen Seite. Zermürbend mögen die ewigen Ausgleichsversuche sein - doch Lust auf weitere zehn Jahre im Biosphärenreservat hat der Biologe trotzdem. "Sogar sehr."