Die Nordseewerke in Emden sind insolvent - doch das Land will kein Geld mehr in das Unternehmen stecken. Für die Stadt geht es um alles.

Emden/Hannover. Den schwarzen Sarg haben die Mitarbeiter der Siag Nordseewerke 2009 gezimmert, als ihre Werft schon einmal vor dem Aus stand. In dieser Woche haben sie ihn wieder hervorgeholt und mitgebracht nach Hannover, denn nach nur drei Jahren in der neuen Rolle als Zulieferer der Windkraftindustrie sind die Siag Nordseewerke in Emden endgültig pleite. Vor dem Werkstor Mahnwachen, Fahnen und Feuerstellen, seit mehr als einer Woche flimmern diese Bilder jeden Abend über die Bildschirme in Niedersachsen. Für die strukturschwache Stadt Emden geht es um 700 Arbeitsplätze und damit ums Ganze und für die Landesregierung unter Ministerpräsident David McAllister fast auf den Tag genau drei Monate vor der Landtagswahl um Schadensbegrenzung.

Dass der Ministerpräsident das Verkünden schlechter Nachrichten gerne delegiert, hat er schon in der Affäre um den früheren Bundespräsidenten Christian Wulff bewiesen. Und auch jetzt war es Finanzminister Hartmut Möllring (CDU), dem in der vergangenen Woche der undankbare Job zufiel, das Ende weiterer Landeshilfen zu verkünden. Weil die Energiewende nicht vorankommt, der Bau der riesigen Windmühlen stockt, fehlt es den Nordseewerken an Arbeit und Umsatz. Eine geordnete Insolvenz, so die Überlegung vor Wochenfrist, könnte wenigstens die Chance erhalten, die Substanz des Unternehmens und einen Teil der Arbeitsplätze über die Krise des Windenergieausbaus hinüberzuretten.

Auch FDP-Wirtschaftsminister Jörg Bode war sich nicht zu schade, vor Ort in Emden auf eine improvisierte Bühne zu klettern, sich Buhrufe abzuholen und Schadensbegrenzung zu predigen.

Dann aber, am Wochenende will er auf dem Landesparteitag in Celle zum Spitzenkandidaten bei der Landtagswahl gekrönt werden, mischte sich der Ministerpräsident doch ein mit der Ankündigung, er persönlich wolle ein Krisentreffen in der Staatskanzlei organisieren. Das fand dann am Montagabend auch statt, pfeifende Werftarbeiter samt Sarg vor der Tür inklusive, aber es kam nichts raus außer der Ankündigung, man wolle sich am Freitag erneut treffen. Nur 24 Stunden später setzte dann die Unternehmensleitung der Landesregierung ungeniert die Pistole auf die Brust mit der Forderung nach einer Soforthilfe von über fünf Millionen Euro quasi über Nacht und weiteren 32 Millionen Euro bis zum 5. November. Weil die Landesregierung sich nicht sofort beugte, meldeten die Geschäftsführer nur 24 Stunden später tatsächlich Insolvenz an.

Obwohl der Gang zum Konkursgericht nur zeigte, dass die Nordseewerke längst nicht mehr zu retten waren, drehten die Oppositionsparteien der Landesregierung sofort einen Strick aus der Pleite. Enno Hagenah, wirtschaftspolitischer Sprecher der Grünen, warf den Ministern Bode und Möllring vor: "Sie haben mit ihren vorschnellen Stellungnahmen das Unternehmen in die Insolvenz geredet." Und auch Erwin Heinks unterscheidet nicht zwischen der NordLB, der Landesregierung und der Geschäftsführung des Unternehmens. Der Betriebsratsvorsitzende wirft alle Beteiligten in einen Topf: "Einige spielen hier mit gezinkten Karten und ganz bewusst falsch. So kann man mit den Arbeitnehmern nicht umgehen. Wenn man den Standort wirklich retten will, dann geht das auch." Emdens Oberbürgermeister Bernd Bornemann (SPD) fühlt sich ebenfalls von der Landesregierung vor vollendete Tatsachen gestellt: "Mir versagt die Fantasie, wie es dazu kommen konnte."

Ob der Ministerpräsident heute am zweiten Krisengipfel teilnimmt oder nur telefonisch zugeschaltet wird, war gestern noch nicht klar. Die Arbeitnehmerseite erhöhte im Vorfeld den Druck. Hartmut Tölle, DGB-Chef von Niedersachsen, schlug eine Landesbeteiligung an dem Unternehmen vor. Das weckt Erinnerungen an den damaligen Ministerpräsidenten Gerhard Schröder (SPD), der Ende 1997 ebenfalls unmittelbar vor einer Landtagswahl zusammen mit der NordLB für über eine Milliarde Mark die Preussag Stahl AG kaufte, die der Mutterkonzern ins Ausland verscherbeln wollte. Der entscheidende Unterschied: Der Stahlkonzern war kerngesund. In Emden aber geht es nur noch um die Frage, ob ein Massekredit den totalen Zusammenbruch des Unternehmens verhindern kann.

Der liberale Wirtschaftsminister Bode ließ gestern auf Abendblatt-Anfrage keinen Zweifel, dass er von einer Landesbeteiligung nichts hält: "Rettungsversuche zu Wahlkampfzeiten durch massive staatliche Intervention schlagen fehl - die Liste der gescheiterten Versuche ist lang. Eine Scheinrettung - auch wenn das vor Ort gut ankommen mag - bringt keinem etwas, sie ist süßes Gift, denn im Zweifel steht man in einem halben Jahr wieder vor denselben Problemen."